0:1 gegen Ungarn und 0:0 gegen dezimierte Serben: Die beiden Spiele der Nations League waren herbe Enttäuschungen. Trotzdem bieten sie Şenol Güneş gleich einige Erkenntnisse.

Nach einer Niederlage und einem Unentschieden verbietet es sich eigentlich von "Siegern" zu sprechen. Am Ende gibt es allerdings durchaus ein paar Spieler, die von den enttäuschenden Ergebnissen am Ende sogar noch ein wenig profitieren könnten: jene (potentiellen) Stammkräfte nämlich, die nicht oder nur wenig auf dem Platz standen. Der langzeitverletzte Cenk Tosun kam ebenso wie Mittelfeldmotor Okay Yokuşlu gar nicht zum Einsatz. İrfan Can Kahveci und Cengiz Ünder kamen nur auf einige Minuten. Ihre designierten Vertreter allerdings konnten (fast) gar keine Werbung in eigener Sache betreiben und stärkten so ungewollt die Position der gesetzten Spieler. Nach aktuellem Stand hat Şenol Güneş eine klare A-Elf, die ­– wenn alle Spieler gesund sind – die Nase vorn haben dürfte. An Günok im Tor, Meraş, Söyüncü, Demiral und Çelik in der Viererkette, Yokuşlu auf der Sechs, Kahveci und Tufan auf den Achter-Positionen, Çalhanoğlu und Ünder auf den Flügeln und Tosun (nach seiner Genesung) im Sturmzentrum führt aktuell eigentlich kein Weg vorbei. Erste Backups sind dazu Tekdemir, Ayhan, Yazıcı und Yılmaz. Güneş wollte in den beiden Spielen neue Spieler ausprobieren. Die gewonnenen Erkenntnisse werden ihm allerdings nicht gefallen. Selbst die vielversprechenden Talente haben größtenteils noch Probleme in der Nationalelf.

Einen Spieler muss man von dieser Einschätzung allerdings ausnehmen: Debütant Orkun Kökçü spielte unbekümmert auf und zeigte eine Stunde lang, dass er tatsächlich einen Platz im Team anpeilen könnte. Das ist mit gerade mal 19 Jahren im ersten Länderspiel nicht selbstverständlich. Der Achter von Feyenoord versuchte viel in der Offensive und arbeitete auch nach hinten mit. Natürlich bot er auch keine überragende Leistung, ein Lichtblick war sein Auftritt trotzdem. Sein direkter Konkurrent fiel dagegen leider deutlich ab. Auch Mert Hakan Yandaş feierte sein Debüt, konnte allerdings noch nicht an seine starken Leistungen für Sivasspor anknüpfen. Er wird nun versuchen müssen, sich eine weitere Einladung über gute Spiele für Fenerbahçe zu verdienen. Auch sein ehemaliger Teamkollege Emre Kılınç und Schalkes Kutucu zeigten keine gute Leistung und konnten sich so vorerst nicht als Alternativen anbieten. Lediglich Mert Müldür konnte einige wenige positive Akzente gegen Ungarn setzen und streitet sich mit Nazim Sangaré um die Position hinter Platzhirsch Çelik.

Dieser blieb gegen Serbien zwar auch blass, dürfte seinen Platz allerdings sicher haben. Die Defensive bestätigte grundsätzlich ihre bärenstarke Form aus der EM-Qualifikation. Mit Söyüncü und Demiral ist man nach wie vor hervorragend aufgestellt, doch auch Ozan Kabak zeigte im zweiten Spiel eine gute Leistung. Zusammen mit Kaan Ayhan hat man hier eine schlagkräftige Besetzung zusammen. Die Probleme liegen derweil woanders.

Zwei Spiele, null Tore: Es ist relativ offensichtlich, wo es bei den Türken hakt. Burak Yılmaz und Enes Ünal sowie die gelernten Mittelstürmer Karaman und Kutucu auf links hatten keinerlei Bindung zum Spiel und blieben so äußerst blass. Man würde es sich nun aber zu einfach machen, wenn man die Probleme der Türkei nur an ihrem Sturm festmachen würde. Tatsache ist, dass viel zu wenige Bälle überhaupt die Spitzen erreichen. Gegen stärkere Teams ist die Türkei ein unangenehmer Gegner, der aus einer massiven Defensive heraus Nadelstiche setzen kann. Gegen gleichstarke oder schwächere Mannschaften fehlt es allerdings merklich an Ideen, wie man das eigene Spiel aufziehen könnte. Hier wird es in Zukunft noch mehr auf Hakan Çalhanoğlu ankommen, der seine starke Form aus Mailand bisher nicht immer auf das Nationalteam übertragen konnte. Nur wenn man Wege findet, die eigenen Stürmer in Szene zu setzen, kann man auch Tore erzielen. Die teils ideen- und aussichtslosen Fernschußversuche in den beiden Spielen sind jedenfalls kein adäquates Mittel und sorgen erst recht dafür, dass die Spitzen in der Luft hängen. Trotzdem dürfte Şenol Güneş sehnsüchtig auf Cenk Tosun warten. Der 29-Jährige war zumindest während der EM-Qualifikation der beste Stürmer – auch wenn er zu keinem Zeitpunkt überragend spielte.

Während die Optionen im Sturm also rar gesät sind, hat der Nationaltrainer auf der anderen Seite des Feldes ein echtes Luxusproblem. Uğurcan Çakır gilt als das größte türkische Torwarttalent seit vielen Jahren und könnte der nächste Nationalspieler werden, der den Weg nach Europa sucht. Auch gegen Ungarn zeigte er eine gute Leistung und einige tolle Paraden. Trotzdem ist er nicht gesetzt und der Grund dafür heißt Mert Günok. Der frischgebackene türkische Meister ist eher ein Spätstarter, steht kaum in den Medien und fällt auch nicht durch ein spektakuläres Torwartspiel auf. Dafür ist er allerdings die Verlässlichkeit in Person und bietet überhaupt keinen Anlass für einen Torwartwechsel. Gegen Serbien lief der Routinier nun erstmals mit der begehrten Eins auf dem Trikot auf und dies kann durchaus als Fingerzeig gewertet werden. Günok bleibt gesetzt, Çakır gehört die Zukunft.

Insgesamt sollte man die Ergebnisse gegen Ungarn und Serbien nicht allzu hoch hängen. Güneş wollte Spieler ausprobieren, setzte sie teilweise auf ungewohnten Positionen ein und würfelte die Startelf ziemlich durcheinander. Die Auftritte waren wirklich nicht berauschend, gleichzeitig hat die EM-Qualifikation gezeigt, zu was die Türkei fähig ist. Jetzt wird es darauf ankommen, eine Taktik zu erarbeiten, die auch gegen defensive Gegner zum Erfolg führt. Die Herausforderer werden sich währenddessen über ihre Mannschaften erneut für eine Nominierung anbieten müssen. Weiter geht es gegen einen Gegner, der ebenfalls mit den jüngsten Ergebnissen hadert: am 7. Oktober trifft man auf Deutschland und wäre dann wieder in der geliebten Rolle als Favoritenschreck.