Natürlich gibt es verschiedenen Gründe, die zu der Niederlage gegen Kiew geführt haben. So schwerwiegend die Rote Karte, der verschossene Elfmeter, fehlendes Spielglück und eine schwache Schiedsrichterleistung aber waren, die Hauptverantwortung liegt beim Trainer. Jorge Jesus hat sich auf ganzer Linie vercoacht.
Das begann bereits bei der Startaufstellung. Jesus schickte mit Ausnahme von Tisserand die Elf vom Hinspiel auf’s Feld und als Zuschauer fragte man sich warum. Zwar waren die "Kanarienvögel" vielleicht insgesamt die leicht bessere Mannschaft gewesen, überzeugt hatten sie beim torlosen Unentschieden allerdings keineswegs. Das betraf vor allem die Offensive. Neuzugang King war ein Fremdkörper, Kahveci fand quasi nicht statt und vernachlässigte einmal mehr seine Defensivaufgaben und Rossi sowie Valencia ging jede Torgefahr ab. Grundsätzlich ist es zwar begrüßenswert, wenn ein Trainer Spielern eine zweite Chance gibt, was auch immer sich der Coach allerdings in diesem Fall von seinem Offensiv-Quartett erhoffte, er bekam es nicht. Die Eindrücke waren im Rückspiel ähnliche.
Wer nun erwartete, dass Jesus seinen ursprünglichen Ansatz zur Pause korrigieren würde, behielt nur teilweise recht. Immerhin Kahveci wurde von seinen Aufgaben entbunden und wird in den kommenden Wochen dringend an sich und seinem Auftreten arbeiten müssen. Weitere Wechsel gab es allerdings nicht, sodass mit Serdar Dursun nicht nur der einzige torgefährliche Spieler auf der Bank blieb, sondern auch der Gelb-Rot-gefährdete Valencia auf dem Feld. Der Ecuadorianer hatte sich in der ersten Hälfte provozieren lassen und lief Gefahr, in diesem hitzigen Spiel mit einem überforderten Schiedsrichter direkt die nächste Gelbe Karte zu kassieren.
Yüksek unglücklich, Zajc außen vor
Dieses Missgeschick passierte stattdessen İsmail Yüksek, was auch deswegen einigermaßen tragisch ist, da der Rückkehrer ansonsten eine gute Leistung zeigte. Natürlich geht der Platzverweis nach einem übermotivierten Einsteigen im Mittelfeld auf die Kappe des 23-Jährigen, von einem erfahrenen Trainer wie Jesus kann man allerdings erwarten, dass er in einer derart aufgeheizten Partie spätestens zur Pause seinen gefährdeten Spieler vor sich selbst schützt und ihn vom Platz nimmt. Auf der Bank saßen mit Crespo und Zajc schließlich noch gleich zwei Spieler, die nahtlos in die Rolle gerutscht wären. Während der Portugiese immerhin kurze Zeit später kam, blieb der Slowene komplett auf der Bank, selbst dann noch als mit Arão der zweite Sechser angeschlagen raus musste.
Überhaupt hatte der Trainer kein Glück mit seinen Wechseln. Dass er den engagierten Mor nach einer halben Stunde wieder auswechselte, den zu diesem Zeitpunkt nicht nur wirkungslosen sondern auch offensichtlich verausgabten Rossi allerdings auf dem Platz ließ, passte zum Gesamteindruck. Dazu kam, dass die Joker Bruma und Lincoln ebenso wie Joshua King nicht austrainiert wirken, erschreckende physische Defizite zeigten und im Spiel größtenteils wie Fremdkörper agierten. All das ist auch den erst kürzlich erfolgten Wechseln geschuldet und kann mit der nötigen Zeit behoben werden, das Rückspiel einer Champions-League-Qualifikation ist allerdings in keinem Fall der Zeitpunkt für Experimente.
Jesus muss noch ankommen
Und jetzt? Jorge Jesus hat in seiner Karriere schon schlimmere Niederlagen und vor allem strahlende Erfolge erlebt. An der grundsätzlichen Eignung des Trainers sollte daher kein Zweifel bestehen und natürlich hat der Portugiese nun die Chance aus seinen Fehlern zu lernen. Die Verantwortlichen haben ihrem neuen Trainer auch deshalb viel Macht übertragen und formen den Kader einmal mehr (und trotz anderslautender Ankündigungen) komplett nach seinen Wünschen um. Nach Pereiras Personal für die Dreierkette kommen jetzt also die portugiesischsprachigen Spieler für den neuen Trainer. Das kann natürlich funktionieren, macht den Verein aber auch vom aktuellen Coach abhängig. Jesus hat dementsprechend die Aufgabe, eine gesunde Mischung aus Neuzugängen und dem vorhandenen Personal zu finden, das insbesondere zum Ende der letzten Saison durchaus zu gefallen wusste. Noch ist ihm das nicht gelungen.
Foto: Burak Kara/Getty Images