Seit nunmehr acht Spielen ohne Sieg, sich in der Champions League mit einem historischen Abschneiden peinlich blamiert, in der Süper Lig im grauen Tabellenmittelfeld unterwegs – vom in der Vorsaison triumphalen Doublesieger Beşiktaş ist kaum mehr etwas übrig geblieben. Die LIGABlatt-Redaktion ordnet den steilen Sinkflug der "Schwarzen Adler" ein und nennen Gründe für die aktuelle Krise.

Einzelkönner außer Form, ein Kollektiv nicht (mehr) vorhanden: Das Personal

In der vergangenen Doublesieger-Saison gefiel Beşiktaş aus seinem Mix aus individueller Klasse und kollektivem Zusammenhalt. Einzelkönner wie Rachid Ghezzal brillierten teilweise über Wochen, riefen Leistungen konstant auf hohem Niveau ab und cachierten so auch so manche Schwächen anderer Mannschaftsteile. Gleichzeitig konnten eben jene Individualisten für sich selbst – und damit auch für die Mannschaft – nur glänzen, weil die Rädchen in den umliegenden Team-Bereichen stets ineinandergriffen. Vom teils berauschenden Fußball der Rückrunde der zurückliegenden Saison, die einen ganzen Klub zu einer Einheit hat verschmolzen lassen, ist wenige Monate später nichts mehr übrig geblieben.

Eben jener schon angesprochene Ghezzal ist einer der Namen, der die in der letzten Saison erarbeitete Erwartungshaltung aktuell überhaupt nicht abrufen kann. Schwang sich der Algerier in der vergangenen Spielzeit noch zum Assist-König der Süper Lig auf und zog so das europäische Rampenlicht auf sich, wird aktuell gerade einmal eine mickrige Vorarbeit verbucht. Nach jetzigem Stand muss aus Beşiktaş-Sicht leider konstatiert werden, dass sich die im Sommer monatelangen Kaugummi-Verhandlungen mit dessen Berater und Ex-Klub Leicester City nicht gelohnt haben. Auch Valentin Rosier, ebenfalls ein jetzt gekauftes Leih-Versprechen der Meistersaison, ist weit von seiner Glanzzeit entfernt, wenngleich der Rechtsverteidiger noch zu den besseren im Adler-Kader gehört. Tatsächlich hinterfragen muss sich Beşiktaş bei den Transfers von Miralem Pjanić und Alex Texeira. Die fußballerische Klasse lässt sich sowohl dem Bosnier als auch dem Brasilianer nicht absprechen, doch konnten sie dem Team – auch verletzungsbedingt – bis dato noch nicht die erwartete Qualitätsversteigerung verleihen, schon gar nicht, um in der Champions League zu bestehen.

Gerade Texeira ist in jüngster Vergangenheit auch schon öffentlich von Trainer Sergen Yalçın für dessen schwankenden und oft nicht ausreichenden Leistungen angezählt worden. Gleiches gilt für Stürmer Michy Batshuayi, der laut Yalçın beim vergangenen 1:1-Unentschieden gegen Kasımpaşa "mindestens zwei, drei Tore hätte machen müssen". Der selbsternannte "Batsman" wartet mittlerweile seit knapp zwei Monate auf einen Treffer und steht aktuell tatsächlich dort, wo sich das wortverwandte Comic-Vorbild meist aufhält: im Schatten.

Vom Double-Helden zum Buhmann: Der Trainer   

In der vergangenen Saison noch der gefeierte Held, der gleichzeitig mit dem Gewinn des Doubles als Spieler und Trainer in die Vereinshistorie einging, fehlt vom alten Sergen Yalçın jegliche Spur. Der berauschende und erfrischende Offensivfußball, den der Lehrmeister nach langer Zeit bei Beşiktaş spielen ließ, ist in dieser Saison völlig abhandengekommen. Immer wieder wurde der 49-Jährige zum Sündenbock für die aktuelle Situation gemacht, was auch, abgesehen von dem Verletzungspech, durchaus berechtigt war. Herrschte in der vergangenen Saison noch eine Harmonie und Chemie zwischen Mannschaft und Trainer, so scheint auch dies nicht mehr da zu sein. Letzterer zählte seine Truppe auch schon öffentlich an, weshalb Risse zwischen Mannschaft und Trainer erkenntlich sind. Hinzu kommen äußere Umstände rund um den Verein, wie die ständigen Gerüchte um seinen potenziellen Nachfolger Şenol Güneş, die wohl auch an Yalçın selbst, der immer wieder mit Kritik in Funktionärskreisen zu kämpfen hat, nicht spurlos vorbeigegangen sind. Dass der Trainer, auch nach der Schmach gegen Giresunspor, weiterhin im Amt ist, gleich daher fast schon einem Wunder. Sportliche Argumente für eine Fortsetzung der Zusammenarbeit gibt es, zumindest für diese Saison, wahrlich nicht, weshalb an dieser Stelle weiterhin große Fragezeichen herumschwirren. Innerhalb weniger Monate ist der, mittlerweile auch größtenteils ratlos wirkende, Double-Coach zum Buhmann verkommen, der seinen wohl verdienten Kredit aus der vergangenen Spielzeit längst schon verspielt hat.

Schwacher Plan A, fehlender Plan B: Die Taktik

Die taktischen Defizite im Spiel der "Schwarzen Adler" sind im bisherigen Saisonverlauf nicht von der Hand zu weisen. Sinnbildlich für die Misere ist der gestrige Auftritt beim Auswärtsspiel in Dortmund, der in negativer Hinsicht den Höhepunkt einer desaströsen Europapokal-Saison bildete. Wenn es hinten fünfmal klingelt und vorne in 90 Minuten kein einziger Ball auf das Tor kommt, liegt es nahe, Abwehr und Angriff näher zu betrachten. Der Gedankengang ist nicht ganz falsch, führt allerdings auch nicht weit genug. Die Innenverteidigung glich ohne Abwehrboss Vida einem Hühnerhaufen und ließ sich bereits in der ersten Halbzeit das ein ums andere Mal düpieren. Gleichzeitig lieferten die Außenverteidiger Uysal und Meraş allerdings auch keinerlei Impulse nach vorne.

Dort fielen die Flügelspieler Larin und Karaman allenfalls durch wiederholte Ballverluste auf. Von Mittelstürmer Batshuayi kann man hingegen nicht einmal das behaupten. Der Belgier hing völlig in der Luft und stand, selbst als die Mitspieler hinten munter abgeschossen wurden, noch vorne und wartete auf Konter, die niemals kamen. Zwar boten alle drei Stürmer eine schwache Leistung, es wurde ihnen allerdings auch schwer gemacht. Und damit kommt man zur eigentlichen Problemzone der "Schwarzen Adler": dem Mittelfeld. Hier variiert Sergen Yalçın vorsichtig von Spiel zu Spiel, eine belastbare Lösung hat er bisher allerdings nicht gefunden. Gegen Dortmund schickte er mit Josef und Topal zwei Abräumer auf den Platz, die keinerlei Impulse nach vorne lieferten. Diese Verantwortung lag alleine bei Can Bozdoğan auf der Zehn und dem ehemaligen Schalker war wenigstens der Einsatzwille anzumerken. Dennoch konnte ein Offensivspiel nicht alleine über den 20-Jährigen laufen. Ein Sechser oder Außenverteidiger hätte mindestens aushelfen müssen. Da Beşiktaş aber vor allem sicher stehen wollte, klaffte eine riesige Lücke zwischen Abwehr und Angriff. Der BVB tat seinem Gast nicht einmal den Gefallen, das Spiel über die Mitte aufzuziehen und die beiden Sechser so zu beschäftigen. Stattdessen ging es munter über die Außen, wo insbesondere Uysal klare Tempo-Nachteile gegen Schulz hatte.

Yalçın reagierte zwar gezwungenermaßen zur Pause, Stabilität oder eine neue Herangehensweise gab es aber auch in Hälfte zwei nicht. Jetzt versammelten sich fast alle "Adler" vor dem eigenen Strafraum und warteten auf den nächsten Einschlag. Das 0:5 ist das Ergebnis einer falschen und wenig flexiblen Taktik, gepaart mit Spielern in schwacher Form und einer Ersatzbank, die kaum Alternativen bietet.