Rein quantitativ platzt der Kader Galatasarays aus allen Nähten. Auch das Rückspiel gegen Eindhoven zeigte allerdings, dass Fatih Terims Alternativen dennoch rar gesät sind. Während die Gerüchte über Offensivspieler nicht abreißen, zeigen die beiden jüngsten Spiele, dass auch die Abwehr alles andere als sattelfest ist.

Wollte man das Kapitel Champions-League-Qualifikation für Galatasaray mit einer Szene zusammenfassen, böte sich die 76. Minute der gestrigen Partie an. Fatih Terim reagierte und brachte bei einem Gesamtrückstand von 1:7 zu diesem Zeitpunkt Atalay Babacan für Ömer Bayram. Der Ausgewechselte schlich mit hängendem Kopf vom Platz und wurde mit einem gellenden Pfeifkonzert verabschiedet. Abgesehen von der absoluten Unsitte eigene Spieler auszupfeifen, ist Bayram so etwas wie das aktuelle Gesicht Galatasarays – im negativen Sinne. Die Fans haben sich auf den 30-Jährigen eingeschossen, der seit 2018 in Istanbul spielt und in dieser Zeit zwar nie als Starspieler, dafür aber über weite Strecken als aufopferungsvoller Allrounder aufgefallen ist, der immer da die Lücken schloss, wo er eben gerade gebraucht wurde. Das ist auch aktuell so, leider ist die Lücke links hinten und Bayram wird als Außenverteidiger regelmäßig überrannt. Alternativen gibt es allerdings keine, sieht man von Emre Taşdemir ab, der gefühlt seit seinem ersten Tag im gelb-roten Trikot mit einem Wechsel in Verbindung gebracht wird. Klar, Galatasaray hat nun endlich reagiert und mit Patrick van Aanholt eine neue Stammkraft geholt. Auch der Niederländer hat seine Stärken allerdings eher in der Offensive und lässt nach hinten gerne mal ein wenig Raum. Das können sich die "Löwen" im Moment allerdings nicht erlauben.

Leistungsträger im Leistungstief

Denn so verlockend es vielleicht auch ist, Bayram als Sündenbock herzunehmen, so sehr wird er vom Rest der Verteidigung im Stich gelassen. Von der starken Defensive der letzten Saison ist nämlich aktuell kaum noch etwas übrig geblieben. Das gilt gar nicht unbedingt für das Personal, das bis auf den ausgemusterten Donk und Leihrückkehrer Saracchi gleich geblieben ist. Leistungstechnisch sind die Spieler aktuell allerdings nicht wieder zu erkennen. Das beginnt bei Kapitän und Rückhalt Fernando Muslera, der gleich in beiden Spielen patzte. Nicht verwunderlich, kommt der 35-Jährige doch direkt von der Copa América, wo er in fünf Spielen die Knochen für Uruguay hinhielt. Eine Pause wäre dringend nötig, die Zeit reicht allerdings nicht mehr und so muss Muslera ran. Christian Luyindama hat sein risikoreiches Spiel nochmal intensiviert und bestätigt damit jenen Abwärtstrend, der ihm bereits in der letzten Spielzeit häufig einen Bankplatz bescherte. DeAndre Yedlin hinterlässt auf seiner Seite große Löcher, die gerade die offensivstarken Niederländer immer wieder zu nutzen wussten und selbst Abwehrboss Marcão wirkt unsouverän und fahrig.

Möglich ist, dass Galatasaray einfach noch nicht bereit war für diese beiden Spiele. Man kann auch das ebenso alte wie traurige Argument bemühen, dass Galatasaray auf europäischer Ebene zwar chancenlos, der Kader allerdings für die Süper Lig ausreichend ist. Nach den bisherigen Auftritten kann man selbst daran allerdings zweifeln. Der bereits genannte van Aanholt und der junge Sasha Boey sollen das Problem auf den Flügeln lösen. Im Zentrum kam Öztürk für Donk und fand sich nach einem Spiel direkt wieder auf der Bank. Die defensive Stabilität, die Galatasaray in der letzten Saison beinahe am Ende den Titel beschert hätte, ist nach aktuellem Stand Geschichte. Will man gegen diesen Trend ankommen, winkt Arbeit auf mehreren Baustellen: es braucht ein festes System, eine eingespielte Viererkette und sehr wahrscheinlich auch den ein oder anderen Neuzugang. Das kittet nicht den Riss, der zwischen Fans und Teilen der Mannschaft besteht, könnte aber immerhin "für die Süper Lig reichen" – vorerst zumindest.

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