Es war einer, wenn nicht sogar DER Transfer-Coups dieses Winters: João Cancelo wechselt von Manchester City in die Bundesliga zum FC Bayern München – zunächst nur als Leihe, dann ab Sommer 2023 mit einer Kaufoption in Höhe von kolportierten 70 Millionen Euro. Doch lohnt sich dieser Transfer überhaupt? Kann João Cancelo die Probleme der zuletzt stolpernden Bayern lösen? In diesem Artikel gehen wir der Sache taktisch auf den Grund. Eine Analyse von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank.
Bei den Bayern lief es in letzter Zeit nicht so recht; Dreimal hintereinander spielte man in der Bundesliga je 1:1, wobei es den Münchnern nicht gelang, ihr gewohnt dominantes Spiel aufzuziehen und die Gegner vom Feld zu fegen. Stattdessen blieben diese stets in der Partie und es bestand immer die Gefahr, dass die Bayern die jeweiligen Spiele sogar hätte verlieren können. Gegen den 1. FC Köln brauchte es tatsächlich ein Traumtor aus knapp 30 Metern in der 90. Minute, um zumindest noch den Ausgleich zu erzielen. Woran es bei den Bayern zuletzt taktisch gehapert hat, haben wir in einer gesonderten Analyse für die Leserschaft aufgearbeitet.
Es brauchte einen neuen Rechtsverteidiger
Beim FC Bayern hat man aber offensichtlich erkannt, dass personell etwas getan werden muss. Da Noussair Mazraoui, der erst im vergangenen Sommer ablösefrei von Ajax Amsterdam an die Isar gewechselt war und eigentlich als eine der ersten Optionen für die Position des Rechtsverteidigers gedacht war, aufgrund einer Herzbeutelentzündung auf unbestimmte Zeit ausfällt, musste hier nun nachgelegt werden. Zwar gäbe es mit Sarr, Stanišić und Pavard noch drei weitere mögliche Optionen für diese Position, doch den beiden Erstgenannten fehlt es einfach an der nötigen Qualität, um auf dem aller höchsten Niveau zu performen, während sich Pavard zuletzt in einem Formtief befand und es seit Längerem Gerüchte über einen baldigen Abschied des Franzosen aus München gibt. Darüber hinaus hat sich Innenverteidiger Hernández während der WM einen Kreuzbandriss zugezogen, weshalb er die ganze Rückrunde ausfallen wird. Dementsprechend dient Pavard nun als Backup für die nominellen Abwehrrecken de Ligt und Upamecano.
Einen neuen Rechtsverteidiger zu verpflichten war also eine richtige Entscheidung, dass man dazu noch mit Cancelo einen der besten Außenverteidiger der Welt hatte abgreifen können, grenzt an einem Geniestreich von Sportdirektor Hasan Salihamidžić. Wieso Cancelo die Citizens so schnell verlassen konnte, das ist eine andere Frage. Da es Medienberichten zufolge für den Portugiesen keine Kaufpflicht gibt, ist das Risiko dieses Transfer überdies ein sehr geringes. Was bei Cancelo aber umso interessanter ist, als seine nominelle Position als Rechtsverteidiger, ist seine Variabilität. Der 28-jährige kann auch hinten links spielen, als Schienenspieler in einer Fünferkette agieren und sogar ins zentrale Mittelfeld einrücken. Damit hat Trainer Julian Nagelsmann auf einmal wieder viele Optionen, der Mangel derer bis vor wenigen Tagen bei den Münchnern noch für Kopfschmerzen gesorgt hatten.
Cancelo ist eine erstklassige Soforthilfe
Man hatte bei der offiziellen Vorstellung des Portugiesen bereits durchscheinen lassen, diesen als Rechtsverteidiger einzuplanen. Da es sich bei Cancelo um kein junges Talent mehr handelt, sondern um einen erfahrenen Topspieler, der in den vergangenen Jahren eine tragende Säule bei einem der besten Vereine der Welt gewesen war, ist bei ihm nicht von einer besonders langen Eingewöhnungsphase auszugehen, auf der anderen Seite wird man ihm diese Zeit auch nicht geben – er soll jetzt eine Hilfe sein! Angesichts dessen schauen wir uns doch einmal an, wie der FC Bayern in Zukunft auflaufen könnte:
Mögliche Aufstellung des FC Bayern München:
27-Sommer / 19-Davies / 4-de Ligt / 2-Upamecano / 22-Cancelo / 6-Kimmich / 11-Coman / 25-Müller / 42-Musiala / 10-Sané / 13-Chupo-Moting
In den letzten eher weniger zufriedenstellenden Partien seit Ende der Winterpause hatten sich bei den Münchnern vor allem drei Schwachpunkte herauskristallisiert: Mangelnde Gefahr durchs Sturmzentrum, kein Rechtsverteidiger auf internationalem Top-Niveau und das Fehlen eines echten Sechsers. Mit dem Transfer von Cancelo könnten im Idealfall zumindest zwei dieser Baustellen geschlossen sein. Dass Cancelo die gewünschte Qualität auf der Rechtsverteidigerposition mitbringt, steht soweit außer Frage. Was ihn aber so wichtig machen könnte, ist vor allem das Zusammenspiel mit Kimmich und gegebenenfalls mit Musiala.
Realtaktische Aufstellung der Bayern im offensiven Ballbesitz:
Julian Nagelsmann lässt sehr offensiv mit einem hohen Pressing spielen. Das bedeutet, dass bei Ballbesitz die gegnerische Mannschaft am eigenen Sechzehner förmlich eingeschnürt wird. Dabei stehen sogar die Münchner Innenverteidiger oft in der gegnerischen Hälfte. Der Vorteil eines solchen Spiels ist eine offensive Flexibilität, der Nachteil wiederum eine besonders hohe Konteranfälligkeit, wenn es zumindest keine entsprechende Absicherung gibt. Dies war vor allem zuletzt beim Ausgleich der Frankfurter Eintracht durch Kolo Muani offenkundig geworden.
Entscheidend ist Cancelos Zusammenspiel mit Kimmich und Musiala
Das Problem in den letzten Spielen war, dass Kimmich, der zumindest auf dem Papier als Sechser eingeplant ist, das Offensivspiel der Bayern zu sehr lenken musste. Dadurch rückte er meist zu nahe an den gegnerischen Strafraum und hinterließ hinter sich eine gewaltige Lücke, in die der Gegner dann beim Umschaltspiel schnell vorstoßen konnte. Im Zusammenspiel mit Cancelo lässt sich dieses Problem zumindest in Teilen beheben: Cancelo ist für einen Verteidiger unfassbar technisch versiert, hat ein tolles Passspiel, einen beeindruckenden Abschluss und ist vor allem erstaunlich kreativ beim Herausspielen von Chancen.
Kimmich hätte nun die Möglichkeit, sich weiter fallen zu lassen, um im Zentrum abzusichern und im eigenen Ballbesitz das Spiel als tiefstehender Ballverteiler zu ordnen. Lässt sich Kimmich also fallen, rückt Cancelo ins Zentrum ein und agiert hier als Kreativspieler, der selbst Pässe verteilt oder am Strafraumrand ins Eins-gegen-Eins geht, um vielversprechende Standards zu provozieren. Rückt Kimmich hingegen vor, kann Upamecano hinter ihm mehr ins Zentrum rücken, während sich Cancelo hinten rechts in die Abwehr fallen lässt. In beiden Fällen schafft man ein Konstrukt mit drei anstelle der bisherigen zwei absichernden Spielen, um so weniger Anfällig gegen Konter zu sein.
Ebenso interessant wie das Zusammenspiel mit Kimmich, ist auch die Harmonie zwischen Cancelo und Musiala. Der 19-Jährige weicht gerne auf den rechten Flügel aus, um Sané in den gegnerischen Strafraum rücken zu lassen und lässt so ein kleines Loch vorm Sechzehner. Stößt Cancelo hier rein, ist dieses geschlossen. Lässt sich Kimmich aber fallen und Cancelo läuft auf der Außenbahn nach vorne, um Kimmich als Empfänger eines langen Balls zu dienen, kann Musiala wieder ins Zentrum rücken und somit auch in der zweiten Reihe für eine Münchner Überzahl sorgen. Das bedeutet insgesamt, dass Nagelsmann seinen Spielstil nicht großartig anpassen muss, um mit Cancelo einen gewaltigen Mehrwert auf dem Platz zu haben. Wichtiger wird es eher sein, dass Kimmich seine zuweilen benötigte Rolle als Abräumer und tiefen Spielmacher akzeptiert. Tut er das, hat der FC Bayern gleich zwei große Baustellen wieder zugemacht und der Hoffnungsschimmer auf einen spannenden Meisterschaftskampf in der Bundesliga könnte schon bald wieder erlöschen.
Foto: Fabrice Coffrini/Getty Images