Mit der Transferoffensive Anfang des Monats hat Fenerbahçe ein erstes Ausrufezeichen gesetzt. Während die Neuverpflichtungen in vielerlei Hinsicht gut durchdacht sind, können sie doch nicht mehr sein, als ein erster Schritt.

Als Ali Koç zum Ende der enttäuschenden letzten Saison eine wahre Transferoffensive ankündigte, dürften nicht nur viele Fans der "Kanarienvögel" zunächst gestutzt haben. Wie genau eine solche Offensive nämlich zu bewerkstelligen sei, führte der mächtige Präsident nicht weiter aus. Klar war und ist, dass das Geld in Kadıköy nicht eben locker sitzt und die Anhänger dürften mit Schrecken an den vergangenen Winter zurückgedacht haben, als man das Kunststück vollbrachte, zwei Innenverteidiger abzugeben und dafür nur einen zu verpflichten, den man wiederum zunächst nicht für den Spielbetrieb anmelden durfte. Aber dann kam der 6. August und die Gelb-Marineblauen gaben quasi im Stundentakt neue Verpflichtungen bekannt: Mert Hakan Yandaş, die "verlorenen Söhne" Gökhan Gönül und Caner Erkin sowie Überraschungstransfer Filip Novak tragen ab der kommenden Saison die (zeitgleich vorgestellten) neuen Trikots des 19-maligen Meisters.

Zu all diesen Neuzugängen kann man Fenerbahçe nur beglückwünschen. Yandaş war einer der besten offensiven Mittelfeldspieler der vergangenen Saison und wäre mit Ozan Tufan die ideale Besetzung für die Doppel-Acht in einem 4-3-3. Gönül war wiederum der stärkste Rechtsverteidiger der letzten Spielzeit und mit Erkin und Novak hat man dazu noch zwei der besten Akteure auf der anderen Seite für sich gewinnen können. Alle Spieler kommen zum Nulltarif, was bei den aktuellen finanziellen Gegebenheiten ebenfalls nicht unterschlagen werden sollte. Dazu lösen die Neuzugänge nicht nur spielerische Probleme.

Insbesondere mit Gönül und Erkin hat Fenerbahçe zwei neue Führungsspieler verpflichtet und auch Novak wird dem Team mit seiner Erfahrung gut tun. In der letzten Saison gab es in Kadıköy nur genau einen solchen Anführer: Emre Belözoğlu. Das ging so lange gut, wie der Routinier regelmäßig auf dem Platz stand. Setzte er aus, konnte oder wollte niemand in die Bresche springen. Hasan Ali Kaldırım hatte selbst mit Verletzungen zu kämpfen, Luiz Gustavo musste sich zunächst in der Türkei akklimatisieren und so blieb nur Ozan Tufan. Der 25-Jährige war nach seiner Strafversetzung in die zweite Mannschaft und der Leihe zu Alanyaspor vielleicht die größte positive Überraschung mit Kader Fenerbahçes – ein Anführer ist er allerdings auch aufgrund seiner häufigen Unbeherrschtheit (noch) nicht. Die Lücke, die Emres Karriereende nun hinterlässt, wird man mit Gönül und Erkin zumindest besser schließen können. Sollte dann tatsächlich noch der hoch gehandelte José Ernesto Sosa nach Istanbul wechseln, hätte man einen sehr erfahrenen Führungsstab, selbst wenn Luiz Gustavo noch nach Frankreich transferiert würde.

Auch in Hinblick auf die kommende Ausländerregelung sind türkische Spieler dazu natürlich Gold wert. Genau hier, also beim Blick in die Zukunft, taucht aber auch das kleine Fragezeichen auf, dass die Transfers hinterlassen. Abgesehen von Yandaş befinden sich die Neuverpflichtungen eher im Herbst oder sogar Spätherbst ihrer Karriere. Während alle sicherlich eine Soforthilfe werden können, wird es gleichzeitig die Frage sein, ob man es schafft, im Schatten der arrivierten Kräfte jene Spieler aufzubauen, die Fenerbahçe auch über 2022 hinaus an der anvisierten Spitze halten. Das wird eine der größten Aufgaben für Erol Bulut werden. Für die kommende Saison allerdings dürfen die Fans zumindest vorsichtig optimistisch sein – zumindest sofern Koç ähnlich überzeugende Lösungen für die dezimierte Abwehr und einen drohenden Muriqi-Abgang findet.