Die Revolution, die einige Experten und Fans vielleicht erwartet oder sogar erhofft hatten, bleibt wohl aus. Stefan Kuntz bleibt auch mit seiner zweiten Kadernominierung nahe an den Ideen seines Vorgängers Şenol Güneş. Das ist vielleicht nicht sonderlich aufregend, dafür aber vernünftig.

Natürlich gab es unter Güneş ein paar Personalien, die nur wenige Anhänger der Türkei nachvollziehen konnten. Als prominentestes Beispiel sei an dieser Stelle Enes Ünal genannt, der sich für einen Mittelstürmer sowohl im Verein als auch in der Nationalelf beinahe schon tragisch ungefährlich präsentierte und trotzdem stets den Vorzug vor Knipsern wie Serdar Dursun erhielt. Mittlerweile kommt Ünal bei Getafe auf immerhin drei Treffer, für den neuen Nationaltrainer reicht das allerdings noch nicht. Auch die große Verjüngung, die von Kuntz als ehemaligem deutschen U21-Trainer erwartet worden war, blieb bisher aus. Auch das ist folgerichtig, schließlich war die Türkei auch unter Güneş das jüngste Team der EM und ging quasi chancenlos unter. Der neue Coach versucht eine bessere Mischung aus jungen Talenten und erfahrenen Routiniers im Kader zu finden. Caner Erkin und Serdar Aziz, die unter Güneş quasi keine Rolle spielten, sind so zum Beispiel zurück. Der Linksverteidiger steht auch jetzt wieder im Aufgebot, Aziz laboriert noch an einer Verletzung. Okay Yokuşlu und Yusuf Yazıcı, die zuletzt immer zum Inventar gehörten, sind nun hingegen (vorerst) nicht mehr an Bord. Beide sind in ihren Vereinen bestenfalls Teilzeitkräfte.

Gewinner Özdemir

Nutznießer sind Spieler wie Berat Özdemir, der unter Kuntz sein Debüt feierte und in beiden bisherigen Spielen als alleiniger Sechser auflief, sowie Orkun Kökçü, der nach abgesessener Gelbsperre gegen Lettland von Beginn an auf dem Feld stand, dabei allerdings blass blieb. Die beiden entsprechen ziemlich genau Kuntz‘ Lieblingstypus. Bereits bei der deutschen U21 setzte er vornehmlich Mittelfeldspieler ein, die eine gesunde Mischung aus körperlicher Robustheit und taktischer Finesse mitbringen. Gerade letzterer Punkt sprach daher zuletzt wohl auch gegen Ozan Tufan.

Wer sich vom neuen Trainer eine Revolution erhofft hat, dürfte enttäuscht sein. Kuntz hat schnell gemerkt, dass er nicht alles umschmeißen, sondern stattdessen an einigen Stellschrauben drehen muss. Nach der äußerst gelungenen EM-Qualifikation sprachen einige bereits vom Geheimfavoriten und der stärksten türkischen Spielergeneration jemals. Nach dem Turnier wurde den selben Spielern quasi jegliche Berechtigung abgesprochen, jemals wieder in Rot und Weiß aufzulaufen. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen. Die Türkei hat prinzipiell eine Menge Potential. Nun braucht es einen Fachmann, der mit objektivem Blick an die Aufgabe geht und es schafft, dass die Spieler dieses auch abrufen. Dafür ist Stefan Kuntz genau der richtige Mann.