Transparenz bei der Entscheidungsfindung und Gerechtigkeit durch Leistungsprinzip spielen bei der UEFA eine einmal mehr untergeordnete Rolle. Trotz tadelloser Spielleitungen in der Gruppenphase und einem Achtelfinale wird Cüneyt Çakır nicht weiter fürs EM-Turnier berücksichtigt – warum? Eine kritische Hinterfragung LIGABlatt-Redakteur Mario Herb.

Wenn am Dienstagabend das erste EM-Halbfinale zwischen Italien und Spanien freigegeben wird, ertönt der Pfiff am Mittelkreis von Dr. Felix Brych. Der deutsche Schiedsrichter ist von der UEFA im Vorfeld für das Spiel bestimmt worden. Mal ganz abgesehen vom ohnehin zweifelhaften Ruf des studierten Juristen aus München, der sowohl bei Großteilen der Fans wie auch intern von deutschen Schiedsrichterkollegen teils kritisch gesehen wird, ist diese Entscheidung schwer nachvollziehbar – zumindest wenn man nach Leistungsprinzip geht. Denn sowohl in den Vorrundenspielen zwischen der Niederlande und Ukraine (3:2) sowie Finnland und Belgien (0:2) wie auch später beim Achtelfinale zwischen Belgien und Portugal (1:0) und dem Viertelfinale zwischen England und der Ukraine (4:0) lieferte Brych allenfalls solide Auftritte ab.

Brychs geradezu manifestierte Stellung bei dieser EM (mit 5 Einsätzen ist er dann auch Rekord-Schiri bei diesem Turnier) untermauert nochmals die schon oft vermutete These, dass der zuständige Dachverband UEFA selbst der Wahl von Schiedsrichtern Transparenz und Nachvollziehbarkeit vermissen lässt und damit die eigene Glaubwürdigkeit weiter untergräbt. Es wird (wie so oft) mit zweierlei Maß gemessen: Sowohl der Franzose Turpin als auch der Spanier Lahoz, die noch vor wenigen Wochen das Europa League bzw. Champions-League-Finale geleitet haben, wurden bereits nach der Gruppenphase aus dem EM-Referee-Pool entfernt. Die Begründung von UEFA-Schiedsrichter-Boss Roberto Rosetti: "Erfolglose Auftritte". "Was rechtfertigt dann spätestens Brychs fünfter Einsatz bei diesem Turnier?" möchte man fragen.

48-jähriger Kuipers durch Regeländerung im Turnier – und zum Abschied im Finale?

Genauso wie die Frage: Bekommt Björn Kuipers das EM-Finale wegen guter, vorangegangener Leistungen zugeteilt? Wohl kaum. Im Viertelfinale zwischen Dänemark und Tschechien fiel der erste Dänen-Treffer nach einer unberechtigten Ecke. Gibt es das Endspiel also vielleicht eher als Abschiedsgeschenk seiner Schiedsrichter-Karriere? Was diese Vermutung zumindest bekräftigt: Im Vorfeld des Turniers hatte die UEFA die Altersgrenze für Schiedsrichter eigenmächtig angehoben, sodass der Niederländer überhaupt erst teilnehmen konnte.

Wirklich schade sind diese von Verbänden, Lobbyisten und persönlich getrieben zu scheinenden Entscheidungen in diesem Fall für Schiedsrichter, die im Turnierverlauf tatsächlich große Leistungen gezeigt und sich damit für Höheres empfohlen haben. Neben Sergey Karasev oder Ovidiu Hategan trifft das vor allem auf Cüneyt Çakır zu. Der türkische Spitzenreferee, der schon bei seiner dritten EM im Einsatz ist, gefiel in der Gruppenphase und auch im Achtelfinale durch eine klare Linie, der nötigen Strenge, aber auch kommunikativem Umgang mit den Spielern. Eine nahezu tadellose Leistung, die weit mehr als die Runde der letzten 16 verdient hat. Ist das Leistungsprinzip tatsächlich oberstes Kriterium bei der Entscheidungsfindung, lässt sich in Richtung UEFA nur verblüffend wie stirnrunzelnd die Frage stellen: Warum pfeift Cüneyt Çakır nicht das EM-Finale?

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