Vor dem anstehenden Testspiel zwischen Deutschland und der Türkei in Berlin wurde der ehemalige türkische Nationaltrainer, Stefan Kuntz, zu verschiedenen Dingen befragt, unter anderem nach der Entscheidungsfindung junger deutsch-türkischer Talente, für welchen Verband sie spielen wollen. Dabei kritisierte der 61-Jährige den Druck, den man auf die Spieler aufbaue. 

Knapp zwei Jahre war Stefan Kuntz der Cheftrainer der türkischen A-Nationalmannschaft, ehe er nach ungenügenden Auftritten seines Teams gegen Armenien und Japan im September diesen Jahres entlassen und durch Vincenzo Montella ersetzt wurde. Angesichts des anstehenden Testspiels der türkischen Nationalmannschaft gegen Deutschland am Samstagabend wurde Kuntz in einem Interview mit "t-online.de" besonders in Hinblick auf den türkischen Fußball befragt. Unter anderem ging es dabei auch darum, warum sich viele junge Deutsch-Türken sich dafür entschieden, für die Türkei und nicht für Deutschland zu spielen. Dabei sieht der Europameister von 1996 die größten Probleme beim Druck, der auf den Spielern laste.

Eltern machen Spielern Druck, für die Türkei aufzulaufen

Während des Interviews wurde Stefan Kuntz auch auf den erst 18-jährigen türkischen Neunationalspieler Kenan Yıldız angesprochen, der im deutschen Ravensburg geboren wurde und früher in der Jugend des FC Bayern kickte, ehe er zu Juventus Turin wechselte. Dabei wurde die Frage gestellt, warum so viele Deutsch-Türken sich für die türkische und nicht für die deutsche Nationalmannschaft entscheiden würden.

Stefan Kuntz meinte, dass dies eine komplexe Entscheidung sei, die von mehreren Faktoren abhänge. Dennoch sehe er einen wichtigen Grund bei den Familien der Spieler und ihrer Erwartungshaltungen. Demnach würden gerade die Familien von den Kickern regelrecht erwarten, dass diese für das Herkunftsland ihrer Eltern und nicht unbedingt das eigene Geburtsland spielen würden. Dementsprechend bliebe den jungen Talenten kaum eine wirkliche Wahl, sich für Deutschland zu entscheiden.

TFF bedient gezielt sich deutsch-türkischer Talente 

Dabei kritisiert Kuntz auch indirekt die TFF, indem er meint: "Die Ausbildung im Jugendfußball ist in der Türkei nicht so gut wie in Deutschland, insbesondere wenn man auf die Fußballakademien oder die Nachwuchsleistungszentren schaut. Talente in Deutschland, wie Kenan oder auch Can Uzun vom 1. FC Nürnberg, sind besser ausgebildet als gleichaltrige türkische Spieler. Entsprechend schnell werden diese Jungs für die A-Nationalmannschaft der Türkei berufen, während sie in Deutschland erst noch die Jugendmannschaften durchlaufen müssten."

Der ehemalige Nationaltrainer der Türkei sowie der deutschen U21 merkt an, dass man bei der deutschen A-Nationalmannschaft eben nicht so schnell eine Garantie bekäme, auch Nationalspieler zu werden. In der Türkei könnten solche Garantien schneller ausgesprochen und die Spieler mit entsprechender Perspektive früher berufen werden.

Warum entscheiden sich Talente eher für die Türkei als für Deutschland?

Die Frage danach, warum sich viele in Deutschland geborene Spieler mit türkischen Wurzen in großer Zahl dafür entscheiden, für die Heimat ihrer Familien zu spielen, kann freilich nicht pauschal beantwortet werden: Abgesehen von sportlicher Perspektive und Druck aus dem privaten Umfeld mögen auch Aspekte wie persönliches Zugehörigkeitsgefühl oder die Sorge vor einer eingefärbten medialen Beurteilung eine Rolle spielen.

Die mediale Aufbereitung und Beurteilung eines Mesut Özil nach dessen Streit mit dem DFB und dessen anschließenden Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft mag hierbei für den einen oder anderen möglicherweise als abschreckendes Beispiel dienen. Letztlich ist aber jede dieser Entscheidungen eine persönliche, die in letzter Instanz den Spielern allein obliegt und ihnen auch obliegen sollte.

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