Mit Franz Beckenbauer haben wir die größte Ikone in der Geschichte des FC Bayern München und des deutschen Fußballs insgesamt verloren. Als Spieler, als Trainer, als Legende war er unantastbar. Als Mensch genauso fehlerbehaftet wie wir alle. Dennoch mahne ich dazu an, bei aller berechtigter Kritik, nicht zu vergessen, was Franz Beckenbauer für den Sport, den wir alle so sehr lieben, bedeutet hat. Ein Nachruf von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank.
Der Kaiser ist tot. Ruhe in Frieden, Franz! Mit Franz Beckenbauer ist nun wohl eine der letzten ganz großen Ikonen des vormodernen Fußballs von uns gegangen: Nach Johan Cruyff, Diego Maradona, Pelé, Gerd Müller und Sir Bobby Charlton ist es nun auch "der Kaiser", der diese unsere Welt verlässt, um hoffentlich anderswo mit seinem Spiel und seiner Leichtigkeit Freude zu verbreiten.
Als eleganter Defensivspieler Lenker und Gestalter seiner Mannschaft
Es kann nicht genug unterstrichen werden, was Franz Beckenbauer nicht nur für den deutschen Fußball, sondern den Fußball insgesamt bedeutet hat. Er war schlicht und ergreifend einer der besten und einflussreichsten Spieler aller Zeiten. In der Jugend begonnen als Offensivspieler wanderte seine Position auf dem Platz immer weiter nach hinten, da Franz Beckenbauer wie auch seine Trainer erkannten, das dort die Qualitäten seines Spiels am besten zu Geltung kamen.
Franz Beckenbauer erkannte, dass das Spiel von hinten aufgezogen wird. In, vor oder hinter der Abwehrreihe konnte das Fußballgenie das Spiel lesen und lenken. Es waren keine imposante Physis oder ein herausragendes Kopfballspiel, die dafür sorgten, dass Beckenbauer hinten agierte, sondern seine Übersicht, seine Spielintelligenz und seine Fähigkeit, das Spiel zu lesen. Damit verkörperte Franz Beckenbauer bereits in den 1960er Jahren die Attribute, die man heute mit einem "modernen Innenverteidiger" oder einer "holding six" assoziiert. Als Resultat erfand Franz Beckenbauer eine neue Position – die des Liberos. Als Defensivspieler ohne direkten Gegner besitzt dieser die Freiheit, das Spiel von hinten heraus kreativ zu gestalten.
Schaut man sich heute Videos von Spielergrößen aus den Sechzigern oder Siebzigern an, fragt man sich oft, ob diese Kicker auch heute noch erfolgreich wären, wo sich das Spiel doch so verändert hat. Schaut man sich Highlights von Franz Beckenbauer an, kommt da gar kein Zweifel auf – dieser Mann wäre auch heute noch ein Weltklassespieler. Zu gut war seine Übersicht, zu genau seine Pässe, zu effektiv seine Dribblings und zu elegant seine Läufe. Beckenbauer brachte mit seinen langen Schritten und seiner ruhigen Art eine Eleganz aufs Spielfeld, die erst durch Zinedine Zidane wieder erreicht werden sollte.
Er machte den FC Bayern München groß
Fragt man sich, was für einen Einfluss Beckenbauer wirklich aufs Spiel seiner Mannschaft hatte, so ist dieser kaum zu bemessen, aber dennoch evident. Franz gab mal in einem Interview an, wäre er in der Jugend nicht zum FC Bayern, sondern zum Stadtrivalen 1860 München gewechselt, dann wären es die "Löwen" gewesen, die in den 1970er Jahren dreimal den Europapokal der Landesmeister (der Vorausläufer der Champions League) gewonnen hätten und nicht die Bayern. Und mit dieser Aussage hatte er recht. Dies attestierten ihm langjährige Weggefährten bei den Rot-Weißen.
Durch seine Qualitäten, auf dem Platz unterstützt von Sepp Meier und Gerd Müller, wurde der FC Bayern in den 60er und 70er Jahren zu dem, was wir bis heute kennen: eine (fast) unaufhaltsame Macht im deutschen Fußball und einer der größten Klubs in Europa. Ohne Franz Beckenbauer würden uns die Bayern nicht mit ihrer Titelserie in der Bundesliga nerven, jedoch wäre auch Deutschland niemals zu der Fußballnation aufgestiegen, die sie heute ist – trotz der enttäuschenden letzten Turniere.
Als Spieler und Trainer Weltmeister
Bereits bei der WM 1966 war Beckenbauer neben Bobby Charlton der beste Spieler des Turniers. Und eben jener Bobby Charlton, der damals als bester Spieler der Welt galt, bekam vor dem Finale in Wembley von seinem Trainer die Ansage, diesen damals noch zwanzigjährigen Bub in Manndeckung zu nehmen. "Der einzige, das verhindern kann, dass wir heute Weltmeister werden, ist Franz Beckenbauer.", soll der Coach der Engländer seine Entscheidung begründet haben.
Als späterer Kapitän war es ebenfalls Franz Beckenbauer, der Deutschland zur Europameisterschaft 1972 sowie zur Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land gegen die favorisierte Niederlande rund um Mittelfeldgenie Johan Cruyff führte. Deutschland mit dem FC Bayern sowie der DFB-Auswahl dominierte vor allem dank Beckenbauer zu dieser Zeit den Weltfußball.
Seine Aura, die Mannschaften einfach besser machte, transportierte Beckenbauer auch als Teamchef, als 1984 die Leitung der deutschen Nationalmannschaft auf der Trainerbank übernahm. Eine Trainerlizenz besaß er indes nicht. Dennoch war der Einfluss sofort spürbar: 1986 unterlag man unglücklich im WM-Finale Argentinien rund um Superstar Diego Maradona doch nur vier Jahre später gelang im Finale von Rom die Revanche und Deutschland holte seinen dritten Stern. Damit war Franz Beckenbauer als Spieler wie auch als Trainer Weltmeister, was neben ihm nur Mario Zagallo sowie Didier Deschamps gelang.
Beckenbauer brachte das "Sommermärchen" 2006 nach Deutschland
Neben weiteren Erfolgen als Trainer des FC Bayern – unter anderem holte man unter ihm den UEFA Cup – sowie als späterer Vereinspräsident sowie Ehrenpräsident hinterließ Beckenbauer auch noch als Funktionär seinen Stempel. Als er Vorsitzender des Bewerbungskomitees der FIFA-Weltmeisterschaft dafür sorgte, dass die WM 2006 in Deutschland stattfand und in Deutschland das "Sommermärchen" stattfand, was dem Land in der internationalen Betrachtung ungeahnte Sympathiepunkte einbrachte. Nicht wenige meinen, dass durch die WM-Vergabe sich der DFB genötigt sah, Anfang der 2000er die Jugendreform durchzuführen, ohne die Deutschland 2014 sicherlich nicht Weltmeister geworden wäre.
Von Korruptionsvorwürfen und Kooperationen mit russischen Energiekonzernen
Doch auch genau beim "Sommermärchen" beginnen die Schattenseiten des Kaisers: Laut Insidern und investigativen Recherchen soll bei der Vergabe nicht alles sauber abgelaufen sein. Die WM sei gekauft gewesen und Franz Beckenbauer hätte dafür die Verantwortung getragen. Angesichts der letzten WM-Vergaben und allgemeinen Korruptionsskandale ist erscheint es allerdings fraglich, ob es in einem Verband wie der FIFA mit rein lauteren Mitteln überhaupt möglich ist, signifikanten Einfluss zu nehmen.
Wäre dies Beckenbauers einzige große Verfehlung gewesen, hätte er vielleicht ein wenig an Glanz eingebüßt, vornehmend kritisch betrachtet wie in den letzten Jahren wäre er aber wohl nicht gewesen. Als FIFA-Funktionär kassierte der Kaiser weiterhin enorme Summen, gab aber öffentlich an, lediglich "ehrenamtlich" für den Verband zu arbeiten. Zudem rief er durch seine bestenfalls naiven, schlimmstenfalls ignoranten Aussagen zur Lage der Gastarbeiter in Qatar massiv Kritik hervor, indem er die Situation der Arbeiter im Land vor der WM 2022 stark herunterspielte.
Gerade aus heutiger Perspektive stößt Beckenbauers Tätigkeit ab 2012 als Botschafter des Verbandes für russische Gasproduzenten (RGO), in dem Gazprom eine Führungsrolle einnimmt, sauer auf, als welcher er russisches Erdgas in Europa populärer machen sollte. Bereits 2010 vor der Vergabe der Weltmeisterschaften 2018 nach Russland und 2022 nach Qatar wurden Beckenbauer enge Kontakte zur RGO nachgesagt, was auch angesichts der Korruptionsvorwürfe einen bitteren Beigeschmack hinterlässt.
Wir verabschieden uns von einer Legende und einem Menschen
Die jüngsten Skandale werfen ein sehr unrühmliches Licht auf Franz Beckenbauer, sodass dessen Verdienste für den deutschen und den Weltfußball sehr weit in den Hintergrund rücken. Ich möchte hier nun dazu aufrufen, dass wir die Person Franz Beckenbauer differenziert betrachten. Es ist möglich, eine Person für seine positiven Leistungen zu würdigen, ohne dessen Verfehlungen zu vergessen.
Es erscheint eine sehr deutsche Eigenschaft zu sein, ein Idol nicht vor allem an dessen großen Leistungen, sondern viel mehr an deren Fehlern zu messen. Wäre Beckenbauer Spanier, Italiener, Franzose, Brasilianer oder Argentinier gewesen, stünde er dort in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch über allen Dingen, als Deutscher wird er umso kritischer beäugt.
Kritisch zu sein ist nicht falsch, jedoch sollten wir aufpassen, dass der Voyeurismus und der Drang, große Namen tief fallen zu sehen nicht überhand nimmt. Ich wünsche mir daher, dass die Kontroversen – gerade rund ums "Sommermärchen" – nicht nur mit Franz Beckenbauer verknüpft werden und umgedreht, auch wenn Kritik legitim sein mag.
Vergessen wir bei all dem nicht, dass wir den größten deutschen Fußballer aller Zeiten, das Gesicht des deutschen Fußballs und vor allem wie es alle unterstreichen, die Franz Beckenbauer kennenlernen durften, einen großartigen und freundlichen Menschen, der wie wir alle seine Fehler hatte, verloren haben. Wir sollten seinen Angehörigen die Zeit geben, angemessen um einen Vater, einen Ehemann und einen teuren Freund zu trauern und sich zu verabschieden. Der Kaiser ist tot. Ruhe in Frieden, Franz!
Foto: Alexander Hassenstein / Getty Images