Nachdem der FC Bayern über weite Phasen des Transferfensters äußerst zurückhaltend agiert hatte, wurden nun, rund zwei Wochen vor Ende der Transferperiode, Nägel mit Köpfen gemacht. Ivan Perišić, Mickaël Cuisance und Königstransfer Philippe Coutinho verstärken ab sofort den Rekordmeister. Aber wie genau sind sie eingeplant? Eine Analyse von LIGABlatt-Redakteur Benjamin Bruns.
Ganz Fußballdeutschland rätselte über das Transferverhalten der Bayern und auch jetzt – nachdem drei neue Spieler für die Säbener Straße verpflichtet wurden – gibt es noch offene Fragen. Statt eines jungen, entwicklungsfähigen Außenbahnspielers Marke Hudson-Odoi kam ein 30-Jähriger. Statt eines flinken Linksaußen Typ Sané verpflichtete man einen Zehner, der überhaupt erst wechselte, weil er bei seinem bisherigen Verein auf der linken Außenbahn nicht glücklich wurde. Welche Rolle genau ein 20-Jähriger, der es in der Vorsaison auf 268 Minuten für M’Gladbach in der 1. Bundesliga gebracht hat, im Kader spielen soll, erschließt sich auch nicht direkt. Schon wird wieder oder besser weiterhin geunkt. Zu Unrecht.
Sinnvolle Verstärkungen
Ignoriert man nämlich all die unglücklichen und teils vorschnellen Aussagen zu anderen Spielern, Deadlines und Kaderplanung, muss man festhalten, dass die Bayern sich klug verstärkt haben. Perišić kann den zwar gesetzten, aber auch verletzungsanfälligen Kingsley Coman vertreten und bringt zumindest einen Teil der Erfahrung mit, die durch die Abgänge von Robben, Ribéry und Rafinha verloren gegangen ist. Cuisance ist variabel einsetzbar und wird sich zumindest vorerst – anders als Renato Sanches – wohl mit Kurzeinsätzen zufrieden geben. Bleibt Coutinho, bei dem seine unglückliche Zeit in Barcelona manchmal vergessen lässt, was für ein außergewöhnlicher Spieler er nach wie vor ist.
Welche Rolle soll Coutinho spielen?
Coutinho wird dann wohl auch gesetzt sein und hier beginnen die Luxusprobleme. Die erklärte Lieblingsposition des Brasilianers, als Spielmacher auf der Zehn, gibt es unter Trainer Kovač nämlich nicht. Die erste Frage wird daher sein, ob der Coach von seinen Prinzipien abweicht (anders als beim letzten Zehner James Rodríguez), der Spieler eine Position bekleiden muss, die ihm weniger liegt oder ob es einen Kompromiss gibt. Die zweite Frage erfolgt im Anschluss: wer muss für Coutinho weichen? Am naheliegendsten wäre hier wohl der ewige Thomas Müller, der als hängende Spitze noch am ehesten Coutinhos Position bekleidet. Müller, der schon oft abgeschrieben wurde und dennoch in der Regel auf seine Einsätze kam, würde dann mit Gnabry um den Platz rechts im Dreiersturm konkurrieren, während Perišić, Coman oder Davies über links kämen.
Absicherung gesucht
Geht man davon aus, dass Lewandowski und Thiago gesetzt sind, wird es aber auch in der Zentrale ein paar echte Härtefälle geben. Es ist nicht davon auszugehen, dass Thiago hinter Coutinho und einem weiteren offensiv-orientierten "Achter" als alleiniger Sechser absichern soll. Das würde in der Liga die Stärken des Spaniers verschwenden und in der Champions League im wahrsten Sinne des Wortes nach hinten losgehen. Die Lösung wäre eine Doppelsechs hinter Coutinho oder – sollte Kovač an seinem System festhalten – die offensive Versetzung Thiagos neben den Neuzugang und ein echter Abräumer hinter den beiden Kreativen. So oder so gibt es im Kader der Bayern aktuell nur einen Spieler für die "Drecksarbeit": Thiagos Landsmann Javi Martinez. Gerade eben von einer Knieverletzung genesen, stellt sich der Baske Saison für Saison in den Dienst seiner Mitspieler. Als Absicherung hinter oder neben der Kreativabteilung dürfte er erneut Gold wert sein.
Härtefälle in der Zentrale
Die Leidtragenden wären auch bei dieser Variante äußerst prominent. Für Leon Goretzka und Corentin Tolisso wäre ebenso wenig Platz in der Startelf, wie für die jungen Wilden Sanches und Cuisance. Niko Kovač wird einige harte Entscheidungen treffen müssen. Zieht man allerdings in Betracht, dass der FC Bayern traditionell in drei Wettbewerben bis zuletzt eine große Rolle spielen will und kann und dass es im Kader einige tendenziell verletzungsanfällige Kandidaten gibt, dürfte der Trainer trotzdem äußerst glücklich über die neuen Optionen sein. Auch wenn es ganz andere Spieler bzw. Spielertypen sind, als ursprünglich geplant.
Foto: Alexander Hassenstein/Getty Images