Bei der deutschen Nationalmannschaft muss sich etwas ändern! Die letzte 0:2 Niederlage gegen Kolumbien stellt einmal mehr unter Beweis, woran es der "Mannschaft" seit inzwischen fünf Jahren fehlt – Biss! Ich sage: "Weniger Ballkontrolle, mehr Giftigkeit!" Ein Kommentar von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank. 

Die Kluft zwischen deutscher Nationalmannschaft und Fans wird immer größer. Kaum ein Jahr ist es noch hin, bis zur Europameisterschaft im eigenen Lande; Vorfreude? Fehlanzeige! Seit Jahren kommt die DFB-Auswahl schon nicht mehr in den richtigen Takt und es reiht sich gefühlt eine Blamage an die nächste. Die drei letzten Testspiel-Ergebnisse gegen die Ukraine (3:3), Polen (0:1) und gegen Kolumbien (0:2) sind dabei gerade mal die Spitze des Eisbergs. Seit der WM-Blamage von 2018 sind die Probleme die gleichen und es wird nicht besser. Drum rate ich Bundestrainer Hansi Flick, bei den nächsten Testspielen tabula rasa zu machen und einen völlig anderen Ansatz zu wählen: Unbequemlichkeit statt Ballbesitz.

Lasst die (meisten) Bayern-Kicker mal zuhause 

Seit langem schon macht ein großer Bayern-Block das Rückgrat der deutschen Nationalmannschaft aus. Das ergibt Sinn, man kennt sich, man ist eingespielt und man feiert zusammen regelmäßig Erfolge. Blöd nur, wenn sich diese Prinzipien nicht auch auf die Nationalmannschaft übertragen. Noch blöder wird es, wenn es auch bei den Bayern selbst nicht rund läuft, wie es in der vergangenen Saison der Fall war. Leistungstechnisch fürs Nationalteam empfehlen, tut sich da in letzter Zeit kaum jemand. Nehmen wir dies doch mal als Anlass, um die meisten großen Namen vorübergehend zuhause zu lassen und Leute aus der zweiten oder gar dritten Reihe zu nominieren, für die es ein absolutes Karriere-Highlight wäre, den Adler auf der Brust zu tragen – Union statt Bayern!

Weniger Ballbesitz, mehr Aggressivität

Es wird viel über das Thema "Dreierkette oder Viererkette?" geredet. Die Sache ist, dass die Anzahl der Innenverteidiger nicht die grundsätzliche Direktive ändert. Bislang versuchte Hansi Flick meist Ballbesitz spielen zu lassen und Spielkontrolle zu erlangen – darin ähnelt er sehr Jogi Löw. Tja, das funktioniert aber nicht mehr – seit fünf Jahren! Das beste Spiel, das Deutschland im letzten Jahr gezeigt hat, war das 1:1 gegen Spanien. Man war bissig, man kam in die Zweikämpfe, die Jungs haben gekämpft und hatten die favorisierten Spanier am Rande einer Niederlage. In dieser Zeit war dies das einzige Spiel, in dem die DFB-Auswahl deutlich weniger Ballbesitz hatte als der Gegner (circa 39 Prozent). Dies sollte man sich taktisch mal als Vorbild nehmen. Welche Mannschaft gibt es denn beispielsweise in der Bundesliga, die trotz des geringen Ballbesitz zu großen Erfolgen kommt? Union Berlin. Im Schnitt hatte man in der letzten Bundesligasaison nur 43 Prozent Ballbesitz und dennoch schloss man am Ende auf Platz vier ab und konnte sich so für die Champions League qualifizieren. Wer den Trend, den Union in den letzten Jahren genommen hat, betrachtet, sieht, dass dies kein Zufall ist. Man steigert sich kontinuierlich, bleibt dabei aber prinzipiell beim gleichen System, beim 5-3-2 oder 3-5-2. Lasst uns das doch einmal auf die deutsche Nationalmannschaft anwenden und nehmen mit einer Ausnahme alle Bayern-Spieler aus der Nummer raus, sondern blicken uns nach Spielern um, die dieses System spielen können, bzw. deren Stärken davon profitieren.

So könnte Deutschland im neuen System spielen 

Im Tor muss man aktuell nicht groß diskutieren: Marc-André Ter Stegen zeigt bei Barcelona überragende Leistungen und auch zuletzt gegen Kolumbien war er der beste Deutsche auf dem Platz. Hinten könnte man ein wenig mischen. Rüdiger als Führungsspieler, der ein gutes Eröffnungsspiel besitzt, ist hierfür bestens geeignet. Daneben nimmt man den personifizierten "Mr. Zuverlässig", Robin Knoche, der einer der Kopfballstärksten Akteure der Bundesliga ist und bei gegnerischen Standardsituationen wunderbar absichern kann. Daneben könnte man einen jungen Spieler wie Malik Thiaw aufbauen, der vom "Tief" der Nationalmannschaft in den letzten Jahren noch weitestgehend unbelastet ist. Links und rechts setzt man auf Schienenspieler, die entweder gut Flanken können oder ein gewisses Tempo mitbringen. Ersteres bietet Freiburgs Kapitän Christian Günther, letzteres Wolfsburg Ridle Baku. In der Mitte mixt man Kreativität mit Abräumerqualitäten: Man braucht immer jemanden, der ins Eins-gegen-Eins gehen kann, während er jemanden an seiner Seite hat, der die Defensive verstärkt – einen echten Sechser. Hierfür bieten Sich Jamal Musiala auf der einen und Robert Andrich oder Rani Khedira auf der anderen Seite an. Beide Spielertypen würden sich gut ergänzen.

Vorne spielt man mit einem Doppelsturm, von dem beide Spieler profitieren. Niclas Füllkrug als der klassischere Strafraumstürmer kennt genau dies aus Bremen, wo er Marvin Ducksch an seiner Seite hat. Anstelle von Ducksch könnte man aber fürs nötige Tempo beim Umschalten auf Karim Adeyemi setzen, der ebenfalls davon profitiert, wenn er einen Stoßstürmer neben sich hat, wie man es beim BVB in der Rückrunde sehen konnte. Dahinter bietet sich als torgefährlicher, offensiv aber variabler Spieler Kai Havertz an, der entweder hinter den Spitzen als Ballverteiler dienen, situationsbedingt auf den Flügel ausweichen oder für zusätzliche Gefahr bei Flanken in den Strafraum einrücken kann. Insgesamt bietet diese Aufstellung, gemessen an den Fähigkeiten der Spieler, noch immer eine gewisse taktische Flexibilität, gerade in der Offensive. Wenn Adeyemi auf den Flügel ausweicht und Musiala das auf der anderen Seite auch tut, kann Havertz in den Sturm gehen, um so mit seiner Größe für zusätzliche Kopfballgefahr zu sorgen. Die Schienenspieler setzen dann primär auf Flanken, während Musiala und Adeyemi am Strafraumrand ins Eins-gegen-Eins gehen, Fouls ziehen oder versuchen, aus dem Rückraum selbst zum Abschluss zu kommen. Der echte Sechser (in unserem Beispiel Andrich) sichert derweil ab.

Und wo bleibt Kimmich? 

Joshua Kimmich ist ohne Frage einer der besten deutschen Spieler. Bei der Nationalmannschaft bleibt er diesen Status allerdings regelmäßig schuldig. In diesem hier gezeichneten System ist für Kimmich, der eher Achter als Sechser ist, kein Platz. Will er nicht auf die rechte Schiene, muss er eben draußen bleiben. Das System ist hier wichtiger als das Ego eines einzelnen. Wenn Kimmich sich nicht damit arrangieren kann und dies als "Majestätsbeleidigung" ansieht, hat er in der Nationalmannschaft auch nichts verloren. Gleiches gilt indes für Goretzka, Sané und Gnabry. In diesem System passen sie als Spielertypen einfach nicht rein. Wir hatten auch in den letzten Jahren den Namen nach sehr gute Spieler, dennoch kam dabei nichts Zählbares rum. Gehen wir stattdessen systematisch vor und suchen uns Spieler heraus, die einander ergänzen und deren Einstellung stimmt, mag sich dies bald ändern. Wichtig ist, dass Flick den Mut zur bewussten Passivität hat. Dieses System funktioniert besonders gegen den Ball, beim Umschalten und bei einem breit aufgezogenen Spiel. Den Ball überlässt man eher dem Gegner. Wirklich attraktiv ist es vielleicht nicht, aber erfolgreich und genau das brauchen wir: Erfolge! Lasst die DFB-Elf mal wieder ein paar Spiele gewinnen und das Selbstvertrauen kehrt zurück. Zudem entsteht ein neuer Konkurrenzkampf und niemand ist mehr unantastbar. Dies ist vielleicht der Tritt in den Hintern, den der eine oder andere Nationalspieler mal braucht.

Foto: Andrzej Iwanczuk / Getty Images