Die Anzeichen verdichten sich, dass Startrainer José Mourinho in der kommenden Saison wirklich auf der Fenerbahçe-Bank Platz nimmt. So groß und medienwirksam das ganze Wirrwarr rund um den Portugiesen ist, so fragt man sich auch, ob es hierbei wirklich noch um Fußball geht. Ein Kommentar von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank.
Die Süper Lig scheint einen neuen Megastar zu bekommen. Diesmal ist es allerdings kein Spieler, sondern ein Trainer. Fenerbahçe hat bei der öffentlich einsehbaren Börsenplattform KAP vorgelegt, dass Verhandlungen mit José Mourinho offiziell aufgenommen wurden. Grundsätzlich bedeutet das, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Verein seinen neuen Angestellten auch offiziell vorstellt.
In einem Interview vor dem anstehenden Champions-League-Finals bestätigte der Trainer im Live-TV die Verhandlungen und dass er sich auf die Herausforderungen freue, wobei noch nichts unter Dach und Fach sei. Die Frage dabei allerdings ist, ob bei dieser Personalentscheidung wirklich der Fußball im Mittelpunkt steht.
Aziz Yıldırım hatte José Mourinho als neuen Fenerbahçe-Trainer ins Spiel gebracht
Vor einiger Zeit hatte Fenerbahçe-Präsidentschaftskandidat Aziz Yıldırım live im TV verkündet, dass er José Mourinho als neuen Trainer für seinen Verein holen würde, sollte er gewählt werden. In der Zwischenzeit hatte sich auch Ligakonkurrent Beşiktaş im Werben um den Erfolgstrainer eingeschaltet, doch nun scheint klar, dass sich Mourinho für Fenerbahçe entschieden hat.
Wer hält bei den Mourinho-Verhandlungen die Zügel in der Hand?
Interessanterweise scheint diese Entscheidung nun schon vor der Präsidentschaftswahl bei Fenerbahçe über den Tisch zu gehen. Und inwieweit Aziz Yıldırım in die Verhandlungen mit José Mourinho involviert ist, ist noch nicht klar. Im Vorfeld des Champions-League-Finals zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid wurde Mourinho gefragt, wer denn der "berühmteste Mensch" unter dessen Telefonkontakten sei. Der 61-Jährige antwortete darauf nonchalant "Der Fenerbahçe-Präsident".
Jetzt spekuliert man, wen der Portugiese genau gemeint haben könnte, ist der amtierende Vereinspräsident doch noch Ali Koç. Es wird gemutmaßt, dass Koç Yıldırım mit der Mourinho-Verpflichtung zuvorkommen möchte, um bei der anstehenden Wahl seinen Herausforderer in einem ungünstigen Licht dastehen zu lassen, während er sich selbst für diesen Deal feiern lassen könnte.
Finanziell wäre ein Mourinho-Deal kaum zu stemmen
Laut Insidern könnte eine Mourinho-Verpflichtung für Fenerbahçe zu einer echten Hürde werden. Offenbar wollte der Coach ursprünglich nur für ein Jahr in Istanbul anheuern, der Verein wolle den Trainer aber mindestens für zwei Jahre verpflichten. In diesem Fall würde aber das von Mourinho für sich und seinen Trainerstab geforderte Gehalt bis zu 30 Millionen Euro verschlingen, eine Summe, die sich der hochverschuldete Klub eigentlich nicht leisten kann. Es drohen also neue Schulden.
Passt Mourinho überhaupt zu Fenerbahçe?
Selbst wenn das Gehalt noch etwas gedrückt werden könnte, würde diese Personalie finanziell auf jeden Fall deutlich ins Gewicht fallen und die Frage ist: Wofür? Passt José Mourinho spielerisch überhaupt zu Fenerbahçe? Zuletzt hatten die "Kanarienvögel" einen dominanten und ballbesitzorientierten Fußball gespielt, während Mourinho bei seinen letzten Stationen primär auf eine destruktive Spielweise gesetzt hatte. Dies sei auch einer der Hauptgründe gewesen, warum der zweifache Champions-League-Gewinner keine Option beim FC Bayern war.
Mourinho weiß, wie man Titel gewinnt
Natürlich gilt Mourinho als Titelgarant und hat in seiner illustren Karriere, nicht nur zweimal die Königsklasse gewonnen, sondern auch zweimal die Europa League, bzw. den UEFA Cup, die Conference League und die nationale Meisterschaft in Portugal, England, Italien und Spanien. Bei Fener ist besonders nach dieser Saison, in der man 99 Punkte holte und am Ende doch nur Platz zwei heraussprang die Sehnsucht nach der 20. türkischen Meisterschaft in der Vereinsgeschichte die Sehnsucht nach dem Titel groß.
Mourinho wäre keine Entscheidung für die Zukunft des Vereins
Kommt nun aber José Mourinho, wird dieser nicht nur verdammt teuer, das Spielsystem der vergangenen Jahre müsste komplett umgekrempelt werden, viele Spieler müssten den Verein verlassen und neue Stars müssten kommen. Finanziell würde dies zu einem unfassbaren Kraftakt werden und eine Nachhaltigkeit für den Verein wäre wahrscheinlich nicht gegeben. All dies kommt mit Ansage und doch läuft nun alles auf Mourinho hinaus.
Selbst wenn es in der nächsten Saison mit der langersehnten Meisterschaft unter Mourinho klappen sollte – der Coach ist bekannt dafür, seine Spieler vor allem mental zu stärken – bliebe die Frage, ob das Gerüst eines für die Zukunft wäre. Dies konnte bereits in der abgelaufenen Saison mit Altstars wie Edin Džeko oder Dušan Tadić angezweifelt werden. Nach dem Projekt Titelgewinn blieben Schulden und ein Spielsystem, das für andere Trainer nur schwierig zu handhaben wäre, da die wenigsten die dafür benötigte "Mourinho-Aura" hätten.
Das Ego der Präsidentschaftskandidaten wiegt schwerer als eine solide Vereinsführung
Es scheint, dass es bei dieser Personalie nicht primär um den Fußball geht, sondern vielmehr ein metaphorisches "Wettpinkeln" zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten Ali Koç und Aziz Yıldırım im Mittelpunkt steht. Diese Personalentscheidung verdeutlicht, dass es beiden Anwärtern auf die Vereinsführung weniger darum geht, das wirklich Beste für den Verein zu wollen, sondern lediglich das eigene Ego zur Schau zu stellen.
Wenn dieser Deal wirklich durchgeht, kann sich derjenige Präsidentschaftskandidat, der es verkünden wird, dafür feiern lassen, das Gewicht, das diese Entscheidung mit sich bringt, wird durch den anfänglichen Hype verschleiert. In den kommenden Jahren wird sich allerdings zeigen, dass eine nachhaltige Arbeit hier nicht zu erkennen ist. So verführerisch ein José Mourinho auf der eigenen Trainerbank auch wäre, mit einer zukunftsorientierten Vereinsführung hätte diese Entscheidung nichts zu tun.
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