Nach dem Abstieg in die dritte Klasse der Nations League wird der Rücktritt von Trainer Şenol Güneş gefordert. Das wesentliche Problem der "Milli Takım" dürfte ein neuer Mann in nur noch wenigen Spielen bis zur EM aber kaum gelöst bekommen. LIGABlatt-Redakteur Mario Herb meint: Die Lehren aus dem Länderspieljahr 2020 müssen gemeinsam gelöst werden – mit Güneş und eventuell einer punktuellen Personal-Verstärkung.

Anstatt Spanien, Italien oder Frankreich heißen die Gegner in der Nations League künftig Litauen, Weißrussland oder Kosovo. Die türkische Nationalmannschaft träumte am Mittwochabend, am letzten Spieltag der diesjährigen Nations-League-Auflage, nach dem Sieg gegen Russland am vergangenen Wochenende vom Aufstieg in die A-Liga. Am Ende stand der bittere Gang in die drittklassige C-Liga zu Buche. Weil Russland beim Tabellenletzten Serbien mit 0:5 unterging – ein Schelm, der glaubt die Sbornaja hätte gegen ihre slawischen Brüder absichtlich schlecht gespielt – und die Türkei gleichzeitig mit 0:2 in Ungarn verlor, rutschte die "Milli Takım" tatsächlich noch auf den letzten Gruppen-Tabellenplatz ab.

Der damit verbundene Abstieg hat bis auf die namhafte Herabstufung der kommenden Gegner und eine möglich, schlechtere Verteilerposition bei einer potenziellen Qualifikation für die nächste Weltmeisterschaft zunächst keine größeren Auswirkungen. Dennoch kommt die Ungarn-Pleite verbunden mit dem Abstieg einem Super-GAU gleich, die die in diesem Jahr aufgekommene Aufbruchstimmung mit einem Schlag zu Nichte macht.

Das Hauptproblem liegt in den Köpfen der Spieler 

Im Affekt der Frustration forderten viele türkische Fans und Experten bereits gestern den Rücktritt von Trainer Şenol Güneş. Der 68-jährige Trainer sei mit seinem Experiment und dem Generationenwechsel gescheitert. Die nackten Zahlen zeigen in der Tat, dass Günes in diesem Jahr lediglich einen Sieg einfahren konnte. Gleichzeitig hat die Türkei aber auch nur die beiden NL-Spiele gegen Ungarn verloren. Das Jahr vor der EM, für die die Türkei bereits vorher sicher qualifiziert war, ist also eher als durchwachsen anzusehen.

Das größte Problem der MIlli Takım ist und bleibt die Charakterschwäche sich bei kniffligen Spielen unter Druck der eigenen Stärke zu bewahren. In Spielen, in denen es um nichts geht, kratzen vermeintliche Unterschiedsspieler wie Hakan Çalhanoğlu und Cengiz Ünder an der internationalen Klasse. Bei Partien, in denen Anführer gefragt sind, tauchen sie ab und schwimmen mit der Masse, was nicht selten im kollektiven Scheitern endete. Şenol Güneş hat es nicht geschafft, dieses Mentalitätsproblem zu lösen, die andere Frage ist jedoch: Wer sollte das im Falle einer sofortigen Güneş-Entlassung im nächsten halben Jahr schaffen?

Ein Sportpsychologe könnte Abhilfe schaffen

Bis zur Europameisterschaft im Juni bleibt eine Länderspielwoche im März und der obligatorische, meist zweiwöchige Vorbereitungszeitraum vor dem Turnier. Die Erfolgsaussichten, dass ein neuer Mann mit einer anderen Strategie mehr erreichen kann, also der von den Spielern auch wertgeschätzte Güneş, sind eher gering. Es sollte nun an Güneş selbst liegen, eine Lösung für das immer wieder kehrende Problem zu finden – vielleicht mit einem zusätzlichen Hilfsmann in Person eines Sportpsychologen an der Seite. Das wäre mit Sicherheit, der schlankere, modernere und wahrscheinlich auch erfolgversprechendere Ansatz.