Das Finale der FIFA-Weltmeisterschaft 2022 in Katar heißt Argentinien gegen Frankreich oder auch Messi gegen Mbappé. Beide Mannschaften hatten schwere Hürden zu nehmen und stehen letztlich verdientermaßen im Endspiel um die goldene Trophäe. Doch wer wird das Rennen machen? Altmeister Messi oder Überflieger Mbappé? Eine Analyse von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank.

Messi oder Mbappé: Welcher Superstar wird das Finale für sich entscheiden?

Die beiden Superstars von Paris Saint-Germain wollen ihre Nationalmannschaften zum jeweils dritten WM-Titel in eigenen Verbandsgeschichte führen. Doch die Vorzeichen könnten für beide kaum anders sein. Wird Messi endlich die großen Fußstapfen Maradonas ausfüllen können und sich endgültig zum unangefochtenen GOAT krönen, oder wird Mbappé bereits zum zweiten Mal Weltmeister und Messi auf ewig unvollendet zurücklassen? Gehen wir das Ganze doch einmal taktisch an:

Auch wenn sich die Spielsysteme von Argentinien und Frankreich grundsätzlich unterscheiden, setzen beide Teams dennoch auf ähnliche Prinzipien. Beide setzen sie zunächst auf eine Vierer-Abwehrreihe und ein kompaktes Mittelfeld. Doch beide Formationen verschieben sich während des Spiels merklich.

Zwei eingespielte Systeme treffen aufeinander

Argentinien konnte sich zuletzt eindrucksvoll mit einem 3:0 gegen den diesjährigen WM-Dritten Kroatien durchsetzen. Dabei setzte Trainer Lionel Scaloni zu Beginn auf ein 4-2-2-2-System, wobei die beiden offensiveren Mittelfeldspieler zusehend das eigene Zentrum dicht machten. Die Formation wurde tendenziell zu einem kompakten 4-4-2 mit Mittelfeldraute, wobei die Mittelfeldspieler in ihrer Position der Situation entsprechend rotierten. Da dies das insgesamt sicherste Spiel der Argentinier im Turnier war und die Formation inzwischen eingespielt ist, ergäbe es auch Sinn für den Trainer, das gleiche System im Finale gegen Frankreich spielen zu lassen.

Frankreich hat während des gesamten Turniers prinzipiell an seinem System festgehalten. Die Anfangsformation variierte lediglich im Detail, wobei es davon abhing, wie offensiv oder defensiv Griezmann agierte. Nominell spielt Frankreich also im klassischen 4-2-3-1, was auch zu einem 4-1-2-3 kippen kann. Das Mittelfeld ist ebenfalls dicht besetzt, wobei die beiden Außenspieler, Mbappé und Dembélé sehr offensiv agieren.

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Mögliche Aufstellungen im WM-Finale 2022 zwischen Argentinien und Frankreich: 

Argentinien (hellblau): 23-Martínez / 8- Acuña / 19-Otamendi / 13-Romero / 26-Molina / 24-Fernández / 5-Paredes / 20-MacAllister / 7-de Paul / 9-Alvarez /10-Messi (K) 

Frankreich (dunkelblau): 1-Lloris (K) / 22-Hernández / 18-Upamecano / 4-Varane / 5-Koundé / 8-Tchouameni / 14-Rabiot / 7-Griezmann / 10-Mbappé / 11-Dembélé / 9-Giroud

Im Vergleich zu den beiden Halbfinalspielen ist mit wenigen personellen Wechseln zu rechnen. Es würde nicht überraschen, wenn nach seiner abgesessenen Gelbsperre, im Finale wieder Acuña für die Albiceleste aufliefe. Auch wenn Nicolás Tagliafico gegen Kroatien ein gutes Spiel gezeigt hat, passt Acuña doch besser zum argentinischen Offensivspiel. Ansonsten ist durchaus zu erwarten, dass Trainer Scaloni der sich im Halbfinale eingespielten Startelf vertraut.

Bei Frankreich dürfte Trainerfuchs Didier Deschamps wieder eher auf Erfahrung setzen. Durften zuletzt gegen Marokko im Mittelfeld Youssouf Fofana und in der Abwehr Liverpool-Mann Ibrahima Konaté ran, wo beide einen guten Job gemacht haben, wäre es nun erwartbarer, dass Adrien Rabiot und Bayern-Spieler Dayot Upamecano in die Anfangself zurückkehren. Rabiot ist erfahrener als Fofana und in einem WM-Finale willst du lieber abgeklärte Spieler auf dem Feld haben. Upamecano hat in dieser Saison bislang mehr Spielpraxis sammeln können als Konaté, weshalb auch er die sicherere Wahl wäre.

Auch wenn die Aufstellungen zunächst so schön geordnet erscheinen, lösen sie sich im Verlauf der Partie erfahrungsgemäß auf und geben die eigentliche Spielidee beider Teams preis. Argentinien mit seinem kompakten Mittelfeld lässt gerne einen der beiden defensiven Sechser zurück in die Innenverteidigung fallen, um abzusichern und den beiden Außen Acuña (8) und Molina (26) die Möglichkeit zu geben, mit nach vorne zu stoßen und die Offensive zu unterstützen. Das Mittelfeld selbst verschiebt dann etwas, um die Kreativspieler des Gegners (in diesem Fall Frankreichs Spielmacher Griezmann) in Manndeckung zu nehmen und diesen nicht ins Spiel kommen zu lassen. Der giftige Paredes (5) erscheint für diese Aufgabe prädestiniert, womit sich Fernández (24) wohl zurückfallen lassen dürfte, um in der Abwehr Frankreichs Mittelstürmer Giroud (9) auf die Pelle zu rücken und im Spielaufbau lange Diagonalpässe auf die nach vorne laufenden Außenverteidiger zu spielen.

Wenn wir schon von den Außenverteidigern sprechen, so ist hier von einem Ungleichgewicht in ihrer Rolle zu erwarten. Während Molina den etwas defensiveren Part einnimmt, um gegebenenfalls die Abwehr im Spiel gegen Mbappé (10) zu unterstützen und/oder Frankreichs offensiven Linksverteidiger Hernández am Flanken zu hindern, schaltet sich Acuña mehr in die Offensive mit ein. Da Acuña auch tendenziell der offensivere Spieler im Vergleich zu Tagliafico ist, bietet es sich an, gegen Frankreich auch wieder auf diesen zu setzen.

Messi als Argentiniens X-Faktor

Was macht Messi (10) eigentlich bei alldem? Argentiniens Kapitän, der nominell zusammen mit Alvarez in einer Doppelspitze agiert, lässt sich während des Spiels regelmäßig auf seine geliebte rechte Seite fallen. Hier agiert er dann eng zusammen mit Rodrigo de Paul (7), der ihm den Rücken freihält, damit der GOAT seine Kreativität und gefürchteten Dribblings getrost ausspielen kann. Gerne zieht Messi von rechten Halbraum nach innen, um den Steckpass auf Alvarez (9) zu spielen oder um direkt abzuziehen. Stößt de Paul ins offensive Zentrum vor, kann Messi außen bis zur Grundlinie laufen, um dann im Strafraum ins Eins-gegen-Eins zu gehen und entweder seine Mitspieler einzusetzen (wie vorm 3:0 gegen Kroatien) oder ein Foul zu provozieren und so einen Elfmeter herauszuholen.

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Argentiniens Konzept gegen Frankreich: Argentiniens Fernández (24) deckt in der Abwehr Frankreichs Giroud (9), während Paredes (5) Griezmann (7) daran hindert, sich freizulaufen, oder Pässe in die Spitze zu spielen. Romero (13) geht auf Mbappé (10), wenn dieser nach innen zieht, während Molina (26) entweder Mbappé oder den vorstoßenden Hernández (22) beschäftigt hält. Links stößt Acuña (8) vor, um die argentinische Offensive mit Flanken zu unterstützen. De Paul (7) blockt Tchouameni (8) weg, um Messi den Raum zu geben, zur Grundlinie durchzulaufen, um dann Pässe auf den einlaufenden Alvarez (9) zu spielen.

Frankreichs wichtigster Spieler ist nicht Mbappé, sondern Griezmann

Frankreich wiederum wird den gewohnten Fußball spielen und das nominelle 4-2-3-1 auflösen, um während der Partie dann in einem 3-4-3 mit Mittelfeldraute zu spielen. Linksverteidiger Theo Hernández (22) stößt vor, um Flanken zu schlagen oder die französische Offensive zu verstärken, während Mbappé (10) nach innen zieht, um am Strafraumrand ins Dribbling zu gehen oder den Abschluss zu suchen. Um die Statik des Spiels auszugleichen, rückt Rechtsverteidiger Koundé (5) nach innen, um zusammen mit den beiden Innenverteidigern eine Dreierkette zu bilden.

Frankreichs defensivster Mittelfeldspieler Tchouameni (8) agiert im Spiel gegen den Ball dann vor der Abwehrreihe als Staubsauger und provoziert gegnerische Ballverluste, um dann mit guten Pässen das eigene Umschaltspiel einzuleiten. Rabiot (14) verkörpert hierbei die Tugenden des klassischen Box-to-Box-Spielers, der zwischen beiden Strafräumen ständig unterwegs ist, Bälle abfängt und durch Zweikämpfe das Tempo aus dem gegnerischen Spiel zu nehmen. Im Spielaufbau soll er dann mit Ball viele Meter machen und das Mittelfeld überbrücken.

Frankreichs vielleicht wichtigster Spieler während des gesamten Turniers ist hierbei nicht unbedingt Torjäger und Superstar Mbappé, sondern Atléti-Spieler Antoine Griezmann (7). Dieser spielt nicht mehr hängende Spitze, wie in vergangenen Turnieren, sondern agiert als echter Zehner, der tatsächlich auch Defensivaufgaben übernimmt, um Mbappé die Möglichkeit zu geben, sich rein aufs Angreifen zu konzentrieren. Im eigenen Ballbesitz wiederum schafft Griezmann durch kluge Bewegungen Räume für seine offensiven Mitspieler und weiß diese durch genaue Pässe wunderbar in Szene zu setzen. Meistens spielt er dabei aber nicht den letzten, sondern den vorletzten Pass, der die gegnerische Abwehr überspielt. Frankreichs Rekordtorschütze Giroud (9) bewegt sich dabei ohne Ball viel im Strafraum, um die gegnerische Abwehrkette auseinanderzuziehen und spekuliert auf Flanken oder Abpraller. Oft genug hatte er damit schon Erfolg.

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Frankreichs Spielidee: Linksverteidiger Hernández (22) rückt vor und unterstützt die Offensive, durch Läufe oder Flanken. Mbappé kann so nach innen ziehen und gefährliche Aktionen einleiten. Koundé rückt hinten rechts nach innen, um mit den beiden Innenverteidigern eine Dreierkette zu bilden. Tchouameni lässt sich nach hinten fallen, um vor dem eigenen Sechzehner das gegnerische Passspiel zu stören. Griezmann bleibt in der gegnerischen Hälfte derweil in Bewegung, um viele Passmöglichkeiten zu finden und für seine Mitspieler ständig anspielbar zu sein.

Argentinien oder Frankreich: Wer ist der Favorit?

Während Argentinien in diesem Turnier bisher doch sehr von Messis Genialität abhängig war, ist dies bei Frankreich etwas anders. Zwar ist auch Mbappé ihr Topscorer, genauso wie es Messi auf Seiten der Südamerikaner ist, doch taktisch macht er keinen so großen Unterschied im Spiel der Franzosen. Hier sind es eher Griezmann und Hernández, die die Fäden in der Hand halten. Dennoch kann Mbappé durch Einzelaktionen Chancen aus dem Nichts kreieren und die Statik eines Spiels mit nur einer Aktion völlig auf den Kopf stellen. Darauf setzt Frankreich-Trainer Deschamps.

Frankreich kann zwar auch Ballbesitz-Fußball spielen, wo dann Griezmann seine Kollegen in der Offensive einsetzt, um Chancen fürs eigene Team zu kreieren, die Titelverteidiger haben aber auch kein Problem damit, auch dem Gegner mal den Ball zu überlassen, um diese am Umschaltspiel zu hindern und setzen dabei selbst auf Konter. Mit Raketen wie Mbappé (10) oder Dembélé (11) ist dies immer ein gefährliches Mittel. Im Halbfinale haben die Franzosen so den Marokkanern den Zahn gezogen.

Während Frankreich insgesamt recht bieder spielt und bloß keine Hektik aufkommen lässt, sind die Argentinier da ganz anders. Man spürt, dass die Südamerikaner ihrem Kapitän und Idol Messi unbedingt diesen Erfolg verschaffen wollen, der ihm nicht vergönnt war, anders als dem großen Nationalhelden Diego Maradona. Die Argentinier werden sich in diesem Endspiel also zerreißen und alles tun, was in ihrer Macht steht, um die qualitativen Unterschiede zu Frankreich, die gerade in der Breite doch recht groß sind zu relativieren. Mit der Emotionalität steigt aber auch das Risiko von Fehlern, worauf die Franzosen setzen werden. Diese spielen zwar unaufgeregt, insgesamt aber sehr effizient und bestrafen gegnerische Fehler somit eiskalt.

Insgesamt ist Frankreich doch der deutliche Favorit. Aber wer weiß… wenn es so eine Nacht ist, in der Messi seine Magie im Fuß spielen lässt und Mbappé sich zu sehr der eigenen Arroganz hingibt, kann sich "La Pulga" doch krönen und die ewige Frage "Messi oder Ronaldo?", auf ewig klären, denn dann ist er wahrlich der GOAT – The Greatest of all Time!