Am kommenden Sonntag kommt es in der Süper Lig zum großen Derby zwischen den Istanbuler Stadtrivalen Beşiktaş und Galatasaray. In diesem Spiel treffen auch gleichzeitig auch der Tabellenführer und der Drittplatzierte der Süper Lig aufeinander, weshalb das Spiel als inoffizielle Vorentscheidung um die türkische Meisterschaft gilt. Vergleicht man vorab aber beide Mannschaften auf taktischer Ebene, so stellt man fest, dass spielerisch Beşiktaş gegenüber seinem Rivalen einen großen Vorteil hat. 

Derbys in der Türkei haben immer sehr viel Feuer, besonders wenn es sich dabei um direkte Aufeinandertreffen zwischen den drei größten Klubs Istanbuls, Beşiktaş, Galatasaray und Fenerbahçe handelt; Dann brennt regelmäßig die Hütte und auch die Stimmung auf dem Rasen ist meist elektrisierend. Bei den oft so spannenden Partien zwischen den Erzrivalen vergisst man zuweilen auch, dass sich hierbei nicht nur um von der Leidenschaft geprägte Duelle handelt, sondern auch um Auseinandersetzungen von Teams, die auch taktisch meist hoch geschult sind. Darum wollen wir anhand des anstehenden Derbys zwischen Beşiktaş und Galatasaray die taktischen Stärken und Schwächen beider Mannschaften aufzeigen, um daraus Rückschlüsse für das Duell beider Mannschaften zu ziehen.

Was macht Galatasaray so stark? 

Trotz der tollen Saison, die die Mannschaft absolviert, wirkt Galatasaray Spiel auf taktischer Ebene tatsächlich erstaunlich unspektakulär. Cheftrainer Okan Buruk setzt fast immer auf ein klassisches 4-2-3-1-System. Interessant hierbei ist, dass dies eigentlich eine ausgezeichnete Formation ist, wenn man in der Abwehr mit Gegenpressing spielt. Im eigenen Ballbesitz kommt diese Aufstellung seit einigen Jahren allerdings nicht mehr wirklich oft zum Einsatz. Okan Buruk behält diese Formation aber auch während des eigenen Ballbesitzes ständig bei. Wer nun aber glaubt, dass der 49-Jährige kein taktisches Verständnis hätte, der täuscht sich gewaltig. Der Grund, warum Buruk so spielen lässt, ist der, dass er seinen Kader und seine Spieler genau kennt. Tatsächlich lässt er so spielen, wie er die Stärken seiner Kicker am besten zur Geltung bringen kann.

Galatasaray stellt bislang mit 70 Toren die zweitbeste Offensive und mit 23 Gegentoren die beste Defensive der Liga; Offensiv wird man nur noch von Fenerbahçe mit 78 Toren getoppt. Was hierbei aber auffällt, ist der Umstand, dass man, anders als Fenerbahçe mit Enner Valencia, keinen absoluten Toptorjäger hat, der die Liga in Brand schießt. Bester Torschütze ist Mauro Icardi mit 13 Toren. Damit ist er gerade einmal der fünfterfolgreichste Torschütze der Süper Lig diese Saison, dafür ist der Argentinier aber mit sieben Vorlagen der zweitbeste Assistgeber. Diese Statistiken lassen bereits tief blicken: Galatasaray hat nicht diesen einen Zielspieler, sondern versucht, aus ganz unterschiedlichen Situationen zu Treffern zu kommen. Während zwar das 4-2-3-1 bestehen bleibt, sind die vier Spieler in der Offensive aber sehr agil. Besonders die drei hinter dem Mittelstürmer rotieren sehr viel und schaffen dadurch Räume. Die Spieler sind dazu angehalten auch mal aus der zweiten Reihe aufs Tor zu schießen; Weniger, um selbst zwingend zum Erfolg zu kommen, sondern, um Abpraller zu provozieren.

Durch das ständige Rotieren der offensiven Mittelfeldspieler, fehlt es dem Gegner in der Abwehr oft an der richtigen Zuordnung und beim Abpraller ist dann häufig einer der anderen Gala-Spieler zur Stelle. Mittelstürmer Icardi (99) wird dabei gerne mit ins Kombinationsspiel mit Mertens (10), Rashica (26) und Aktürkoğlu (7) einbezogen und lässt sich dafür fallen. So schafft er Räume, spielt aber auch oft selbst den entscheidenden Pass. Damit dies funktioniert, muss man den vier Offensiven die entsprechenden Räume geben, um dabei aber auch vor Gegenstößen gefeit zu sein, bleibt man hinten starr. Manchmal schiebt lediglich Rechtsverteidiger Sacha Boey (93) hoch, während Linksverteidiger Sam Adekugbe (32) mit den beiden Innenverteidigern eine Dreierkette bildet. In diesem Fall verschiebt sich die Grundordnung zu einem 3-2-4-1. Okan Buruk will mit seinem Spiel eine zu große Statik im eigenen Ballbesitzspiel vermeiden. Wenn man nicht weiß, was man mit dem Ball anstellen soll, weil sich keine Räume bieten, schießt man einfach aufs Tor. Gerade auch die beiden Sechser sind dazu angehalten. Ob die Kugel auch wirklich reingeht, ist dabei gar nicht so wichtig. Es reicht schon, dass der Gegner so aktiv unter Druck gesetzt und zu Fehlern gezwungen wird. Damit ist Okan Buruk eine Art "Anti-Guardiola".


Links: Galatasaray gegen den Ball / Rechts: Galatasaray mit Ball.

Der 49-Jährige versucht nicht, das Spielfeld bis in den letzten Grashalm zu dirigieren und zu kontrollieren, sondern will lieber dass seine Stars in der Offensive mit Spaß bei der Sache bleiben, indem er ihnen ihre Freiheiten lässt. Die ständige Rotation der Offensivspieler ist für die gegnerische Abwehr nicht auf Dauer unter Kontrolle zu halten, sodass sich irgendwann schon die Lücken ergeben. Die vermeintliche Ungeduld, auch einfach so mal draufzuhalten, ist tatsächlich ganz im Gegenteil eine Form von Geduld, weil der Trainer weiß: "Irgendwann steht einer von uns richtig und macht das Ding rein!" Das Fundament hierfür ist dabei ein disziplinierter Abwehrverbund. Die Innenverteidiger machen selten irgendwelche Experimente und auch die Sechser wissen, dass sie nach hinten absichern müssen. Die Außenverteidiger schieben meist asymmetrisch vor, damit im Zweifelsfall immer mindestens drei defensive Spieler zur Absicherung hinten stehen.

Taktische Umstellung verhilft Beşiktaş zu neuer Offensivqualität

Beşiktaş hat in den letzten paar Partien eine interessante taktische Wandlung durchgemacht. Seit neun gespielten Partien ist man nun ungeschlagen, wobei man lange Zeit im einem ballbesitzorientierten 4-1-4-1-System gespielt hatte. Hierbei ist der Gedanke, dass der Gegner mit bis zu fünf offensiven Spielern früh angelaufen wird, um ihm am Spielaufbau zu hindern. Der defensive Sechser bleibt zur Absicherung vor der Abwehr stehen. Im eigenen Ballbesitz dann lässt sich der Sechser zwischen die Innenverteidiger fallen, während die beiden Flügelspieler vorrücken und nach innen ziehen, um den Mittelstürmer zu unterstützen. Die Außenverteidiger rücken ebenfalls vor und bilden mit den beiden Achtern eine Viererkette im Mittelfeld, um ein breites Passspiel aufzuziehen und gegebenenfalls einen Vorstoß auf dem Flügel zu wagen und eine Flanke in den Strafraum zu schlagen, wo dann der Mittelstürmer, unterstützt von den eingerückten Flügelspielern, den Ball verwerten soll.

Soweit so gut, beim spektakulären 4:2 Sieg über Fenerbahçe am 27. Spieltag jedoch änderte sich das ganze etwas. Da man recht früh eine rote Karte kassierte und zudem einem Rückstand hinterherspielen musste, stellte Şenol Güneş um. Flügelspieler Nathan Redmond, der nach seiner Einwechslung eine überragende Partie machte, sollte sich mehr als progressiver Ballverteiler auf der Zehn versuchen und vermehrt schon im Mittelfeld in die Mitte rücken. Die Folge daraus war, dass Güneş die folgenden Partien in einem 4-2-3-1 spielen ließ, das sich beim Umschalten allerdings eher in ein 4-2-2-2, bzw. ein 4-4-2 mit Mittelfeldraute wandelt. Kapitän Cenk Tosun (9) zieht direkt in die Mitte, lässt sich aber hinter Mittelstürmer Vincent Aboubakar (10) etwas fallen. Der Zehner, Salih Uçan (8), und der zweite Flügelspieler, Nathan Redmond (15), gehen in die Halbräume, um so mehr ins Passspiel der eigenen Mannschaft eingebunden zu werden und einen Schnittstellenpass zu den beiden Stürmern zu finden. Nach einem progressiven Pass ist zumindest Nathan Redmond dazu angehalten, hinterherzulaufen, um im Strafraum dann plötzlich eine Überzahlsituation zu kreieren. Sollte es die Situation verlangen, können auch beide Außenverteidiger vorrücken, wobei Arthur Masuaku (25) links tendenziell etwas mutiger agiert als der rechte Part, wobei er zusätzlich von Salih Uçan in Szene gesetzt wird. Diese Herangehensweise war zuletzt sehr erfolgreich und mit Ausnahme des 0:0 gegen Trabzonspor, wo Schlüsselspieler und Toptorjäger Tosun verletzungsbedingt fehlte, konnte man alle Spiele auf diese Weise gewinnen.

Links: Beşiktaş gegen den Ball / Rechts: Beşiktaş mit Ball.

Gefahr für Galatasaray 

Auch wenn Galatasaray eigentlich all seinen Kontrahenten in der türkischen Liga auf individueller Ebene überlegen ist und auch taktisch meistens zu überzeugen weiß, ist das Team von Okan Buruk drum nicht unverwundbar, ganz im Gegenteil tatsächlich, wenn man sich speziell das 3:3 gegen Karagümrük ansieht. Anders als viele Ballbesitzmannschaften ist Galatasaray erstaunlich gut darin, sogar gegnerische Konter abzufangen. Für die meisten anderen Teams, die die meiste Zeit den Ball haben, ist genau das die größte Schwäche, dass sie die schnellen Außenspieler der Gegner nicht eingefangen bekommen. Da Gala dort aber meistens wenig Platz bietet, kommt es selten dazu. Das allerdings führt dazu, dass die "Löwen" bei Tempogegenstößen durch die Mitte erstaunlich anfällig sind. Ja, wird von hinten ein langer Ball nach vorne auf die Außenstürmer geschlagen, ist meistens ein Gala-Spieler zur Stelle. Schafft es eine Mannschaft jedoch, Gala am Spielaufbau durch die Mitte zu hindern und spielt am Mittelkreis einen schnellen Schnittstellenpass auf die Stürmer, kommt die Abwehr des Tabellenführers oft nicht hinterher.

Diese Schwäche spielt Beşiktaş perfekt in die Karten, ist nämlich genau das das präferierte Spiel von Cenk Tosun. Dieser spekuliert gerne auf diese Schnittstellenpässe und mit Nathan Redmond hat man inzwischen den idealen Ballverteiler dafür, diese Pässe auch zu spielen. Dadurch dass Redmond und Uçan beim Umschalten und im Ballbesitz gerne die Halbzehner-Positionen besetzen, um entweder die Stürmer oder die hinterlaufenden Außenverteidiger mit guten Pässen zu versorgen, während Redmond nach einem gespielten Pass ebenfalls mit Tempo nachsetzt, hat sich Beşiktaş in den letzten Wochen spielerisch tatsächlich so entwickelt, dass sie Galatasaray besonders gefährlich werden können. Auch wenn Galatasaray, die meiste Zeit wohl die spielbestimmende Mannschaft sein dürfte, ist es schon auffällig, wie sehr die eigene Anfälligkeit durchs Zentrum den "Schwarzen Adlern" in die Karten spielt. Es scheint schon fast so, als hätte Şenol Güneş durch seine taktische Umstellung seine Jungs in den vergangenen Wochen gezielt auf Galatasaray vorbereitet.