Am Sonntag ist es soweit! Mit Fenerbahçe versus Galatasaray erwartet uns am der größte Klassiker des türkischen Fußballs und die Voraussetzungen könnten kaum besser sein! Wie man es sich von einem solchen Knaller erwünscht, ist es nicht nur dem Namen nach ein Spitzenspiel, sondern auch die Tabellensituation beider Klubs spiegelt genau das wieder. Doch was wird uns am Sonntag erwarten? Wie werden Fener und Gala gegeneinander spielen? In unserer Analyse wagen wir die Prognose. Eine Taktikanalyse von LIGABlatt-Redakteur Ove Frank.

Derbys im Fußball sind (fast) immer eine tolle Sache. Umso besser ist es allerdings, wenn es sich dabei gleichzeitig noch um ein absolutes Spitzenduell im Kampf um die Meisterschaft handelt! Der aktuelle Tabellenzweite Fenerbahçe empfängt den derzeitigen Ligaprimus Galatasaray am Ostufer des Bosporus und will mit einem Sieg die Tabellenführung zurückerobern. Nach schmerzlichen Niederlagen gegen Giresunspor und Trabzonspor hat sich Fener inzwischen wieder gefan-gen und steht nach zwei Siegen in Folge nun wieder gut da. Bei Gala wiederum könnte die Stim-mung kaum besser sein: Mit sechs Ligasiegen in Serie präsentierte sich das Team von Okan Buruk zuletzt in blendender Verfassung. Alles spricht also für ein spannendes und hochklassiges Spiel.

So werden Fener und Gala gegeneinander antreten

Während Fenerbahçe vor der WM bezüglich seiner Aufstellung noch recht viel rotierte und sich dabei schwertat, scheint die Mannschaft von Chef-Trainer Jorge Jesus nun eine Formation gefunden zu haben, die den eigenen Stärken entspricht. Bei den letzten beiden Siegen gegen Hatayspor und Antalyaspor setzte man auf ein klassisches 4-4-2-System. Galatasaray hingegen, bei denen es schon seit längerem richtig gut läuft, haben in letzter Zeit wenig verändert und dürften in ihrem bewährten 4-2-3-1 antreten.

Das 4-2-3-1-System von Galatasaray ist eine Formation, die spätestens seit der WM 2010 immer wieder erfolgreich angewandt wird und erscheint dementsprechend als nichts Außergewöhnliches. Bei Feners 4-4-2 verhält es sich allerdings etwas anders. Dieses System war in den Nuller-Jahren recht beliebt, findet aber seit über zehn Jahren kaum noch Anwendung. Das alte Prinzip des Doppelsturms gilt vielerorts als veraltet oder wird beispielsweise in Italien nur als Teil eines 3-5-2-Systems genutzt, wo die Schienenspieler viel Platz haben, auch nach vorne zu marschieren.

Fener-Coach Jorge Jesus ist allerdings nicht aus der Zeit gefallen, sondern lässt letztlich asymmetrisch spielen, um im gegnerischen Strafraum regelmäßig für eine eigene Überzahl zu sorgen. Der Gedanke ist, dass immer einer der beiden Außenverteidiger vorstößt, während der andere zur Absicherung hinten bleibt. Zudem spielt einer der beiden Sechser einen defensiveren Part, der im Zweifelsfall die hinten entstandene Lücke, des vorstürmenden Außenverteidigers in der Rückwärtsbewegung schließen kann.

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Mögliche Aufstellungen von Fenerbahçe und Galatasaray:
Fenerbahçe: 1-Bayındır / 7-Kadıoğlu / 41-Szalai / 4-Aziz / 5-Arão / 27-Crespo / 9-Rossi / 18-Lincoln / 15-King / 23-Batshuayi 
Galatasaray: 1-Muslera / 3-van Aanholt / 42-Bardakçı / 25-Nelsson / 93-Boey / 27-Oliveira / 6-Midtsjö / 7-Aktürkoğlu / 10-Mertens / 26-Rashica / 18-Gomis

Dries Mertens ist der X-Faktor in Galas Offensive

Während Fenerbahçe also für sein System viel verschieben muss und eine gute Kommunikation zwischen Mittelfeld und Abwehr benötigt, macht es sich Gala zumindest hinten deutlich leichter. Das 4-2-3-1 bleibt grundsätzlich im Spiel bestehen und die eigene Vierer-Abwehrreihe wird nicht aufgelöst. Die eigenen Sechser verwickeln die Gegenspieler im Mittelfeld in Zweikämpfe, während die vier Spieler im vorderen Drittel praktisch sämtliche Offensiv-Aufgaben übernehmen.

Besonders wichtig hier ist Dries Mertens (10), der jedoch nicht als klassischer Spielmacher, bzw. Zehner auftritt, sondern eher als hängende Spitze. Seine Aufgabe ist nicht das Spielen von Pässen in die Spitze, sondern das eigene Vorstoßen in gegnerische Räume, die ihm durch das gute Positionsspiel von Mittelstürmer Gomis (18) ermöglicht werden. Wenn es spielerisch anspruchsvoll vonstattengehen soll, sucht Mertens den Doppelpass mit Linksaußen Kerem Aktürkoğlu (7), um entweder selbst in den Strafraum einzudringen, oder eben seinem Partner dies zu ermöglichen. So kann im Strafraum entweder direkt der Abschluss gesucht werden oder der letzte Pass auf Gomis oder den nachrückenden Mertens, die dann ihrerseits den Ball ins gegnerische Netz einschieben sollen.

Bei alledem soll aber auch Rechtsaußen Milot Rashica (26) nicht vergessen werden. Während Mertens, Gomis und Aktürkoğlu in den gegnerischen Strafraum vordringen sollen, sieht dies bei Rashica tendenziell anders aus: Er soll nämlich den gegnerischen Innenverteidiger herauslocken und so den einlaufenden Mertens den nötigen Raum verschaffen. Auch kann Rashica hier seine Stärken im Eins-gegen-Eins ausspielen, am Gegner vorbeikommen, um so den Pass in die Spitze zu spielen oder den Abschluss aus der Distanz zu suchen, oder er provoziert ein Foul, was dann einen Standard aus gefährlicher Position bedeutet. Sein Wert für das eigene Offensivspiel lässt sich daher weniger an Scorer-Punkten bemessen, sondern eher welche Offensivaktionen des Teams auf die eigenen folgen.

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Während Galatasaray weitestgehend sein 4-2-3-1 beibehält, löst Fenerbahçe das eigene System merklich auf, indem der linke Außenverteidiger nach vorne läuft und der linke Außenstürmer nach innen zieht. so bleiben drei Verteidiger in der Defensive, während sich der defensivere der beiden Sechser zurückfallen lässt, um gegebenenfalls die Abwehr zu unterstützen. 

Fenerbahçes Offensivtaktik: Doppelsturm mit einrückenden Außenspielern

Wie zuvor bereits angemerkt, spielt Fener offensiv asymmetrisch. Das bedeutet, dass vor allem die linke Seite im offensiven Output ein Übergewicht hat. Ferdi Kadıoğlu (7), der eigentlich gelernter Rechtsverteidiger ist, konnte zuletzt seine Qualitäten auf der linken Seite unter Beweis stellen. Hier sorgt er für Alarm, indem er mit dem vor ihm spielenden Linksaußen rochiert. So kann er nach innen ziehen und den Abschluss oder Offensivpass suchen, oder er geht außen vorbei, um eine Flanke zu schlagen. Auch wenn er Rechtsfuß ist, so hat er gerade in den letzten Monaten zunehmend an der Präzision und Härte seines schwächeren Fußes gearbeitet, sodass auch sein linker Huf inzwischen eine echte Waffe ist.

Durch den Doppelsturm, bestehend aus dem Norweger Joshua King (15) und dem Belgier Michy Batshuayi (23) finden sich für Flanken immer Abnehmer im Strafraum. Wenn dann noch Linksaußen Diego Rossi (9) mit einrückt, hat Fener bei Flanken schnell Überzahl im gegnerischen Sechzehner und hat so die Möglichkeit, auch Abstauber zu verwerten. So hat die Fenerbahçe-Offensive diese Saison schon einige Treffer erzielen können. Fener ist allerdings auch nicht so eindimensional, dass nur über Flanken Chancen kreiert werden: Tatsächlich darf auch der zweite Außenspieler Lincoln (18) nicht vergessen werden. Dieser tauscht gerne mit seinem Partner Rossi die Position, um mit seinem starken linken Fuß selbst von Linksaußen zu flanken, oder er zieht von rechts in die Mitte, um die eigenen Stürmer mit Pässen in die Spitze in Szene zu setzen. So wird Lincoln dann vom Außenstürmer eher zum Spielmacher und verteilt im Offensivdrittel die Bälle.

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Fenerbahçe greift im schnellen Umschaltspiel über links an, indem der linke Außenverteidiger nach vorne stürmt und dem Linksaußen den Raum gibt, um nach innen zu ziehen. Entweder folgt nun eine Flanke oder ein Pass zum einrückenden Außenstürmer, der wiederum den eigenen Sturm mit Pässen in Szene setzt. Erhält einer der Stürmer den Ball, rückt der andere vor, um einen Pass in die Spitze zu bekommen, oder um auf einen Abpraller zu spekulieren. Bei langsamerem Spielaufbau geht es über rechts, um so ein sauberes Passspiel aufzuziehen.
Galatasaray wiederum setzt auf schnelle Offensivläufe durch Mertens und Aktürkoğlu, um die gegnerische Abwehr zu überspielen. Die restliche Formation wird beibehalten. Währenddessen versuchen die jeweiligen Sechser beider Mannschaften, die jeweils anderen Sechser am geordneten Spielaufbau zu hindern und verwickeln einander in Zweikämpfe, was ein eher flügellastiges Spiel zur Folge haben dürfte. 

"Wer zuckt, verliert!"

Bei Kämpfen gibt es die Binsenweisheit: "Wer den ersten Schlag führt, führt auch meist den letzten!" Beim Fußball ist die Sache allerdings nicht immer ganz so einfach. Gerade Fenerbahçe und Galatasaray stehen vor dem Problem, dass die jeweils eigene Spielweise, die des Gegners offensiv begünstigt. Feners asymmetrisches Vorrücken gibt gerade einem Mertens die Räume, um offensiv Akzente zu setzen. Im Gegenzug kann Fener Gala – durch deren starre Defensive – mit seinem offensiven Positionswechsel schnell verwirren und so eigene Chancen kreieren. Die Sorge besteht nun, dass niemand einen entsprechenden Fehler machen und den Gegner einladen will.

Wer hier die Initiative übernimmt, ohne sofort zu treffen, ist taktisch im Nachteil, da beide Teams durchaus dazu in der Lage sind, zu reagieren und die Schwächen des Gegners eiskalt zu bestrafen. Offensiv sind beide Teams super, doch defensiv haben beide ihre Schwachstellen. So steht eigentlich zu befürchten, dass es zunächst ein vorsichtiges Abtasten beider Mannschaften wird. Vor der Kulisse dieses Derbys und vor der aufgeheizten Stimmung der Fans wird dies aber sehr wahrscheinlich nicht allzu lange anhalten.

Das Heft des Handelns liegt bei Fenerbahçe

Angesichts dieser Vorzeichen, wer wird das Risiko eingehen und den ersten Schritt machen? Vom Spielsystem ausgehend müsste Fenerbahçe die Initiative in diesem Spiel übernehmen. Nicht nur ist ihr Spiel eher darauf ausgerichtet, den Gegner am eigenen Sechzehner einzuschnüren, indem selbst die Innenverteidiger Druck machen und Flanken aus dem Halbfeld schlagen, auch die Fans werden ein allzu passives Spiel der Heimmannschaft nicht gutheißen, sodass Fener fast schon dazu verdammt ist, die Statik im Spiel zu bestimmen. Galatasaray hingegen kann es sich eher leisten, abwartend zu spielen. Sie sind die Gastmannschaft, spielen mit einer geordneten Defensive und haben mit Aktürkoğlu und Rashica die schnelleren Außenstürmer, die auch bei Kontern sehr gefährlich werden können.

Besonders spannend zu beobachten wird sein, was passiert, sobald eine der beiden Mannschaften in Führung geht. Dann kann alles nämlich sehr schnell gehen: spätestens dann werden die Emotionen überkochen und die Fehler im Spiel werden sich häufen. Werden dann die ersten harten Fouls gespielt und reihenweise Karten verteilt, kann die Partie eine solche Eigendynamik entwickeln, dass die taktischen Vorgaben der beiden Cheftrainer schnell passé sind und beide Mannschaften ihr ganz eigenes Spiel machen. Für den neutralen Beobachter verspricht dies, nach anfänglicher Abtastphase, ein äußerst unterhaltsamer Abend zu werden. Hoffen wir mal, dass unsere Hoffnungen erfüllt werden und uns ein herausragendes Derby erwartet – die Vorzeichen stehen gut!