Zwar ging es beim wilden 3:3 gegen Kroatien für die Türkei nicht um Punkte, nach dem nächsten Unentschieden war Şenol Güneş trotzdem nicht zufrieden. Eine Mischung aus Pech in der Offensive, defensiven Schwächen und einigen mindestens unglücklichen Schiedsrichterentscheidungen verhinderte einen durchaus verdienten Sieg. Zumindest einige Erkenntnisse dürfte der Coach allerdings gewonnen haben.

Auch hier waren naturgemäß nicht alle positiv. Die Abwehr, die in der EM-Qualifikation noch der beste Mannschaftsteil gewesen war, offenbarte gegen die Kroaten große Schwächen. Natürlich bot der Trainer eine völlig andere Viererkette auf und brachte mit Demiral lediglich einen Stammspieler kurz nach der Pause, die aufgebotenen Spieler aus der zweiten Reihe konnten sich allerdings nicht für höhere Aufgaben empfehlen. Lediglich Rückkehrer Caner Erkin dürfte insgesamt zufrieden sein, verschuldete er doch kein Gegentor und lieferte eine großartige Vorlage zum zwischenzeitlichen 2:1. Der Rest schwamm teilweise allerdings bedenklich. Mert Çetin vertändelte den Ball vor dem 1:1 und verschuldete somit das Tor von Budimir – auch wenn dieser klar mit der Hand zu Werke ging und der VAR den Treffer sicher aberkannt hätte. Vor dem 2:2 ließ Bayram Brekalo flanken und Sangaré rückte ohne Not ein, wodurch er seinen Gegenspieler Pašalić in seinem Rücken verlor, der den Ball dann nur noch frei einzuschieben brauchte. Und auch Ozan Kabak wirkte nicht immer sattelfest. Die Abwehrleistung verbesserte sich zwar nach der Hereinnahme Demirals, der Schaden ließ sich allerdings nicht mehr beheben. Leider kann man auch Uğurcan Çakır nicht von der Kritik ausnehmen. Der junge Keeper agierte insbesondere beim zweiten Gegentreffer viel zu zögerlich und war in dieser Partie nur selten der benötigte Rückhalt.

Das Bollwerk gehört (aktuell) der Vergangenheit an

Nun sollte man nach einem einzigen Spiel nicht gleich den Stab über die B-Elf brechen. Klar ist aber auch, dass das beeindruckende Torverhältnis aus der EM-Qualifikation der Vergangenheit angehört. Die Bilanz 2020 ist bisher insgesamt sehr enttäuschend: neun zu zehn Tore, fünf Unentschieden, eine Niederlage, kein Sieg. Insbesondere Abwehrchef Çağlar Söyüncü fehlte häufig merklich. Zusammen mit Demiral, Zeki Çelik, Umut Meraş, Mert Günok und teilweise Kaan Ayhan stand er für ein echtes Bollwerk, das es jeder Sturmreihe schwer machen konnte. Die Spieler dahinter verfügen ebenfalls über großes Potential und haben teilweise sicherlich eine große Zukunft vor sich, aktuell können sie der Stammverteidigung allerdings nicht das Wasser reichen. Trotzdem ist es gut möglich, dass Şenol Güneş auch in den kommenden beiden Länderspielen weiter experimentiert. Statt den kurzfristigen Erfolg in der Nations League zu suchen, tüftelt der Trainer bereits jetzt an seinem Kader für die EM. Der Ansatz ist durchaus verständlich und könnte sich auf lange Sicht auszahlen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass Fans, Medien und der Kader die aktuelle Dürrephase mittragen.

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