Nachdem es in Teil eins und zwei um die Führungsspieler und den Kader ging, beschäftigt sich der dritte und letzte Teil mit der Spielidee, die Stefan Kuntz für sein Team hat. Das Spiel gegen Italien bot da zwar einige Hinweise, zeigte aber auch, dass noch viel Arbeit auf den Trainer wartet.
Grundsätzlich erwartet der Trainer von seinem Team, dass es den Gegner stresst, unter Druck setzt und dann über die agilen Flügel selbst zum Angriff ansetzt. Das ist aufgrund des Spielermaterials und auch der Stärken der türkischen Mannschaft ein vernünftiger Ansatz. Auf den offensiven Außen gibt es qualitativ hochwertige Spieler, die Tempo und Ballsicherheit verbinden können und auch selbst immer wieder für Torgefahr sorgen. Weder gegen Portugal noch gegen Italien ging diese Taktik allerdings vollends auf. Insbesondere Hakan Çalhanoğlu, der unter Kuntz das Spiel von hinten aufziehen soll, wurde von den gegnerischen Sechsern zu oft aus der Gleichung genommen. Zwar bemühte er sich insbesondere gegen Italien um Spielkontrolle, zu häufig blieb ihm allerdings nur der Pass nach hinten.
Die ungeliebte Dreierkette
Dort gibt es die zweite große Neuerung und es ist abzusehen, dass diese in der Türkei bei vielen Fans für große Aufregung sorgen wird. Stefan Kuntz setzt auf die Dreierkette. Diese wurde im türkischen Fußball zwar schon öfter ausprobiert, nach kurzer Zeit mussten die jeweiligen Übungsleiter allerdings kleinbeigeben und zur Viererabwehr zurückkehren. Kuntz jedoch setzt auf das modernere System und hat dabei durchaus gute Argumente auf seiner Seite. Merih Demiral spielt die Dreierkette bei Atalanta und auch Söyüncü, Kabak, Ayhan oder Aziz haben bei ihren Vereinen bereits Erfahrungen damit gesammelt. Dass die Dreierkette bisher allerdings für die Türkei eher nach hinten losging, lag nicht alleine an den Innenverteidigern, sondern auch an ihren Kollegen auf den Flügeln. Die Abstimmung der äußeren Innenverteidiger mit ihren jeweiligen Außenverteidigern war nicht gut genug, so dass dort Lücken entstanden, die zu Flanken einluden. Wahrscheinlich auf der linken Seite könnte Ferdi Kadıoğlu hier die Lösung werden. Der 22-Jährige war einer der wenigen Spieler, die bei Fenerbahçe von dem Pereira-System profitierten. Rechts bringen Çelik und Müldür eigentlich alle Anlagen mit, um das System modern zu interpretieren.
Absicherung im Mittelfeld
Die zweite entscheidende Personalie wird im Mittelfeld zu finden sein. Çalhanoğlu bringt beinahe alles mit, was es für einen guten zentralen Mittelfeldspieler braucht – mit Ausnahme der defensiven Verlässlichkeit. Gegen Portugal stellte Kuntz ihm mit Kökçü einen weiteren Kreativen zur Seite. Beide Spieler tauchten weitestgehend unter und João Moutinho konnte nach Herzenslust das portugiesische Spiel leiten. Dass auch Çalhanoğlu gegen Italien deutlich auffälliger war, lag nicht zuletzt an seinem neuen Nebenmann. Dorukhan Toköz ist sich auch nicht für die "Drecksarbeit" zu schade und hält seinem Kapitän damit den Rücken frei. Zwar war auch der Mittelfeldspieler von Trabzonspor nicht fehlerfrei, in einigen Situation schaffte er es aber, die Italiener bereits im Mittelfeld zu stoppen und so seine Abwehr zu entlasten.
Auch wenn Puristen vielleicht bereits jetzt nach der Viererkette rufen, sollte sich Stefan Kuntz (noch) nicht beirren lassen. Die Dreierkette könnte ein gutes Mittel für die Türken werden und mit einer Mischung aus defensiver Stabilität und offensivem Tempo für Erfolg sorgen. Wichtig ist dabei, dass der Trainer einerseits die richtigen Spieler für sein System findet und andererseits, dass diese ihre individuellen Fehler und teils unerklärliche Passivität abstellen. Das wird eine Mammutaufgabe, insbesondere da vor den Länderspielen jeweils nur sehr wenig Zeit zur Verfügung steht und zumindest in der Süper Lig nicht davon auszugehen ist, dass die dortigen Teams die Dreierkette praktizieren. Kuntz geht damit also ein großes Wagnis ein, aber vielleicht ist das genau was die Türkei jetzt braucht.
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