Die 1:6-Niederlage am Dienstagabend in den Niederlanden glich einem türkischen Offenbarungseid und unterstrich, dass die schwache Europameisterschaft im Sommer kein Ausrutscher war. Während die Fans und Medien den Rauswurf von Şenol Güneş fordern, rufen Trainer und Spieler zum Zusammenhalt auf, wirken dabei aber rat- und planlos.

Welches Ergebnis ist jetzt das schlechtere – das chancenlose und in seiner Art und Weise jämmerliche Ausscheiden bei der vergangenen paneuropäischen Europameisterschaft oder das neuerliche 1:6 gegen die Niederlande, der höchsten Niederlage seit knapp 35 Jahren? Die Antwort dieser Frage liegt wohl im Auge des Betrachters. Sicher ist nur, dass beide Desaster – vor allem im Hinblick der sich aufeinanderfolgenden kurzen Zeit – nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Viel mehr ist das 1:6 gegen die Niederlande, die Bestätigung für das, was sich schon bei der EM eindringlich gezeigt hat: Die Entwicklung der türkischen Nationalmannschaft scheint nicht nur zu stagnieren, sie ist rückläufig.

Spätestens jetzt sei es deshalb für viele Fans und türkische Boulevard-Medien an der Zeit, dass Trainer Şenol Güneş abdankt. Von einem "Spiel zwischen Kindern und Erwachsenen", dem "Holland-Fiasko" und dem "notwendigen Ergebnis für das Ende des Trainers" ist in den Gazetten zu lesen. Auf den Rängen der Amsterdamer Arena stimmten die wenigen, aber deutlich zu hörenden Gäste-Fans bereits nach dem ersten Gegentreffer nach nur 55 Sekunden "Şenol Güneş raus" Sprechchöre an.

Şenol Güneş schließt Rücktritt vorerst aus

Die Nerven liegen blank bei den Halbmond-Sternen, die in der WM-Qualifikationsgruppe nun Dritter sind. Und offenbar, weiß auch niemand so recht, wie es jetzt weitergehen soll. Selbst Kapitän Burak Yılmaz wirkte nach Spielschluss am Mikrofon ungewohnt rat- und auch sprachlos. Der 36-jährige Stürmer appellierte allerdings an seine Landsmänner, nicht die geballte Wut auf den Trainer und die Spieler zu laden. Emotionen seien wichtig, Kritik auch berechtigt, Häme und Spott aber nicht förderlich. Ähnlich versuchte auch Şenol Güneş selbst das Desaster zu moderieren. Dass er als Sündenbock hingestellt werde, sei ihm nicht neu. Ebenso wenig, wie das oft wechselhafte und stimmungsschwankende Meinungsbild der türkischen Fußballfans, die immer sofort draufhauen würden, wenn es mal nicht laufe. Einen sofortigen Rücktritt schloss Güneş am Dienstagabend aus: "Wenn ich etwas mache, dann, wenn ich es mir gut überlegt habe und nicht einfach aus dem Affekt heraus."

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