Selbst echte Fenerbahçe-Fans dürften aktuell ins Stocken geraten, wenn sie den Kader des 19-maligen Meisters aufzählen sollen. Die riesige Fluktuation ist sicherlich eine Chance, stellt aber auch Trainer Erol Bulut vor eine echte Mammutaufgabe.

Karriereenden, Vertragsauflösungen, Leihen und zumindest zwei äußerst lukrative Transfers standen auf der Abgabeseite. Danach und dazwischen verging kaum eine Woche, in der nicht mindestens ein neuer Akteur in Kadıköy begrüßt wurde. Von lange gehandelten Rückkehrern, wie Kapitän Gökhan Gönül, bis hin zu echten Überraschungen, wie Kemal Ademi, reicht die Liste dabei. Insbesondere in der Verteidigung und dem Sturm wurde kräftig nachgelegt. Der potentiell wichtigste Neuzugang findet sich allerdings in der Mittelfeldzentrale. José Ernesto Sosa soll den neuen Emre geben und das Spiel führen und lenken. Das dürfte auch bitter nötig sein. Betrachtet man nämlich die vielen Neuzugänge, stellt man fest, dass hier insbesondere Wucht und Schnelligkeit hinzugeholt wurde. Feine Techniker oder gar Akteure, die im Spiel Regie führen können, wie Emre oder Max Kruse in der letzten Saison, sucht man nämlich weitestgehend vergeblich. Dimitrios Pelkas, der letzte Neuzugang, mag noch am ehesten diesem Profil entsprechen und könnte unter Bulut die Rolle einnehmen, die sein Landsmann Bakasetas in der letzten Spielzeit für Alanyaspor bekleidet hatte. Bisher deutet allerdings viel daraufhin, dass der neue Coach Fenerbahçe zu einer Pressingmaschine umbauen will, die den Gegner früh zu Fehlern zwingt und dann überfallartig Richtung Tor zieht. So wurden die letzten Spiele gestaltet, in denen Ozan Tufan den ersten Verteidiger seines Teams gab und darauf deuten auch die Neuverpflichtungen in der Offensive hin. Umso wichtiger ist es da, dass bei eigenem Ballbesitz ein Spieler das Spiel liest und lenkt. Ein Job für Sosa.

(Noch) keine klare Hierarchie

Die Führung hat ihren Job gemacht und insbesondere die Problemzone Abwehr stark erneuert. Buluts Job wird es nun nicht nur sein, eine Stammelf zu finden, sondern auch die zahlreichen unzufriedenen Spieler bei Laune zu halten. Zwar sind zum Beispiel auf den defensiven Außen die Rollen noch klar verteilt, doch auch Novak und Sangaré dürften auf Spielzeit pochen. Der Tscheche, weil er nach einer starken Saison in Trabzon Ansprüche auf einen Stammplatz hat, der türkische Nationalspieler, weil er dringend Spielpraxis braucht, um in den EM-Kader zu rücken. Ähnlich sieht es in der Offensive aus: Abgesehen von Samatta dürfte aktuell kein Spieler seinen Platz wirklich sicher haben. Die einzelnen Neuzugänge sind dafür qualitativ auch einfach zu nahe beieinander, so dass zumindest keine natürliche Hackordnung aus Stammspielern und Herausforderern entsteht. Perotti, Thiam und der verbliebene Kadıoğlu auf links sowie Valencia und Gümüş auf rechts dürften alle auf einen Platz in der Startelf hoffen, während im Zentrum Ademi und Cissé um die Rolle als erster Joker streiten. Alles ohne internationalen Wettbewerb wohlgemerkt. Wenn Bulut es allerdings schafft, aus den vielen Mosaikstücken gleichzeitig eine eingespielte Mannschaft und einen zufriedenen Kader zu formen, in dem durch die vielen Ligaspiele möglichst viele Spieler zu Einsätzen kommen, dann ist mit Fenerbahçe zu rechnen. Einfach wird das allerdings nicht.