Die Interviewserie zum Thema "Digitalisierung im Fußball" startete am vergangenen Freitag bei schönem Wetter am Kaffeetisch. LIGABlatt-Chefredakteur Fatih Şenel traf den früheren Offiziellen Knut Kircher in Sindelfingen und es kam zu einem interessanten Gespräch. Was der Unparteiische zur Torlinientechnologie, zum Videobeweis und den vielen digitalen Möglichkeiten im Fußball meint, lesen sie nur auf LIGABlatt!

Herr Kircher, wie viel Digitalisierung verträgt denn der Fußball auf dem Platz?

Auf dem Platz selber haben wir gar keine Digitalisierung. Im Grunde genommen ist ja die Frage der Digitalisierung vor und nach dem Spiel. Vielleicht auch schon mal in der Halbzeitpause, wenn gewisse Spielzüge analysiert werden und daraufhin irgendwelche Umstellungen erfolgen. Aber auf dem Platz geht es noch spontan zu, selbst wenn es in den Köpfen ist, ein Spieler könnte ja vielleicht nach einem gewissen Muster reagieren. Als Schiedsrichter muss ich auf dem Platz dementsprechend reagieren, wie Spieler agieren. Hier kann ich nicht einfach sagen, auch wenn die Situation Bestandteil einer Datenbank ist, das hier habe ich doch schon einmal gesehen und deshalb ist es ein Foul oder ein Strafstoß. Ja, man kann Verhaltensweisen studieren und Big Data nutzen, aber auf dem Platz geht es noch spontan zu.

Und was halten Sie von der Torlinientechnologie?

Die Torlinientechnologie als solches finde ich gut und hilfreich, da sich ja in einem Spiel Emotionen hochschaukeln. Das ist immer dann gut, wenn ich eine schwarz-weiß Entscheidung habe. Digital gesehen eben eine 1 oder eine 0. Die Technologie entlastet den Schiedsrichter. Das finde ich gut, weil der Mensch hat Grenzen und die Technik gewissermaßen nicht. Das muss man eingestehen.

Sollte bei Abseits keine Technologie genutzt werden?

Wir haben natürlich auch darüber diskutiert, ob die Technologie bei Abseits verwendet könnte. Jetzt ist ja die Frage, mit welchem Köperteil man regulär ein Tor erzielen kann. Das ist der Kopf, die Brust und der ganze Unterleibsbereich. Das heißt, man kann es sicher modellieren aber dann ginge es für mich deutlich zu weit. Ich würde dies als eine Grenze der Digitalisierung im Fußball sehen, die Torlinientechnologie oder den Videobeweis aber gutheißen. Als Traditionalist habe ich zwar meine Meinung etwas geändert, man muss aber etwas vorsichtig sein. Mit dieser Geschichte habe ich aber nicht eine 1 oder eine 0, sondern es gibt auch eine Grauzone.  Auch nach mehrmaligem Betrachten von verschiedenen Personen der Bilder kommt man oft nicht zu einer eindeutigen und einvernehmlichen Entscheidung. Der Videobeweis wird vielleicht kommen, die Sache wird es aber nicht gänzlich lösen.

Also können Sie sich auf dem Platz keine weiteren digitalen Neuerungen vorstellen?

Momentan kann ich es mir nicht vorstellen, dass es auf dem Platz eine digitale Neuerung geben wird. Um den Platz herum gibt es gar keine Grenze. Bei den Analysetools und den digitalen Möglichkeiten sind wir sicherlich nicht am Ende. Außer dem erwähnten Videobeweis glaube ich nicht, dass es auf dem Platz eine weitere digitale Neuerung geben wird.

Gehört aber der Videobeweis längst nicht auf den Platz?

Den Videobeweis finde ich gut und man kann es durchaus probieren. Einmal pro Halbzeit könnte eine Mannschaft Einspruch erheben und auf den Videobeweis zurückgreifen. Wenn es die Annahme dann bestätigt, könnte die Mannschaft auch in der zweiten Halbzeit nochmals diesen Joker nutzen. Das muss man einfach mal probieren, aber bitte zusammen mit Spielern, Trainern und Schiedsrichtern. Denn wir müssen daran denken, dass der Grundgedanke des Fußballs erhalten bleibt.

Wird der Fußball vielleicht überdigitalisiert?

Eine Überdigitalisierung im Fußball wird es nicht geben. Dahin laufen wir erst gar nicht, denn der Fußball hat seine Hüter. Eine Volldigitalisierung wird es nicht geben. Auf der PlayStation können wir es ja digitalisiert spielen.

Steht bei der Digitalisierung die Nützlichkeit für Spieler und Trainer oder das Erlebnis für den Zuschauer eher im Vordergrund?

Die Digitalisierung hat für Spieler und Trainer sicherlich mehr Nutzen. Wir greifen beispielweise heute auf Datenbanken zurück, die auch uns Schiedsrichtern helfen. Darin sind taktische Spielzüge, Spielerportraits, Aufstellungen, Trainerhandschriften und immer wiederkehrende Aktionen erfasst. Ich glaube, dass die Digitalisierung im Fußball genau darin den größten Nutzen hat. Wenn ich es in Prozent ausdrücken würde, dann trifft 80 Prozent des Nutzens auf Spieler und Trainer.

Über das Konsumentenverhalten kann man glaube ich noch nichts sagen. Das ist eine Frage von Angebot und Nachfrage. Man ist ja schon dabei, verschiedene Kameraperspektiven bei der Übertragung über das gesamte Spiel hinaus anzubieten. Hier ist die Akzeptanz der Zuschauer zu betrachten und dies wird die Nachfrage schon regeln. Ich persönlich kann es mir aber nicht vorstellen, mir eine Stunde vor dem Anpfiff eine Diskussion anzuschauen, wo Daten analysiert und Aussagen zum bevorstehenden Spiel gemacht werden. Ich bin eher der Zuschauer, der sich auf ein Spiel spontan und emotional einlässt.

Glauben Sie, dass die Kommunikation über digitale Medien die Klubs noch populärer gemacht hat?

Klar! Wenn Fußballspieler zum Beispiel mit Marken werben und damit in Verbindung gebracht werden, dann funktioniert das eben. Der Fußball ist die Sportart Nummer 1 und ist damit eine ideale Werbeplattform. Für die Werbeunternehmen kostet diese Plattform dementsprechend Geld. Rein wirtschaftlich gesehen, kann man über digitale Medien in einem noch nicht erschlossenen Umfeld die sogenannten „Follower“ ausbauen und die Popularität steigern.

Sie würden bei Abseits ein digitales Werkzeug ablehnen. Wie betrachten Sie als Schiedsrichter die Digitalisierung im Fußball als Ganzes?

Ich finde die Möglichkeiten der Digitalisierung zum Stauen und als Techniker interessiert mich zum Beispiel die Torlinientechnologie. Es gibt spannende und wiederkehrende Dinge, die uns die Digitalisierung darbietet. Ich würde aber eher verneinen, dass es mich persönlich weiterbringt. Die Digitalisierung ist kein Grundbaustein dafür, um ein guter Schiedsrichter zu werden. Das Know-how der Digitalisierung braucht man hierfür nicht. Es wird immer ein digitales Tool geben, dass seinen Nutzen haben wird oder nicht. Als Schiedsrichter musst du die Regeln kennen, der Fußballer muss kicken können und alle müssen in dieser Sportart fit sein. Das sind die Kernkompetenzen, die auf dem Platz zählen. Alles andere sind Kompetenzen, die man sich aneignen kann. In dieser Sportart ist die Digitalisierung erst die zweite oder die dritte Priorität.